Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Dame, nachdem sie einen Keks in ihre Tasse getunkt hatte, bemerkte: »Da gibt es nicht viel zu erraten. Das fehlende Stilett erklärt alles.«
    Das meinte auch Fandorin, der seine Wirtin interessiert musterte.
    »Und der Gestank«, ergänzte er halblaut.
    »Und der Gestank«, bestätigte Miss Palmer. »Ich kann mir vorstellen, wie furchtbar es dort stinkt, in dieser Kloake! Die Polizisten haben sich bestimmt die Nase mit Taschentüchern oder etwas Ähnlichem zugehalten. Sonst hätten sie bemerkt, dass im Tunnel nicht nur ein Leichnam verweste, sondern zwei.«
    Der Butler rief erstaunt: »Wieso zwei? Wie kommen Sie darauf?«
    »Die Sache war offensichtlich so«, fuhr die alte Dame unbeirrt fort. »Der Inspector stellte den Mörder unter der Erde, es gab einen Kampf, bei dem O’Leary die Oberhand behielt. Um zu verschnaufen, kettete er den Verhafteten an der Leiter fest. Doch er versäumte es, ihn sofort zu durchsuchen, und übersah den versteckten Dolch. Und Dick hatte nicht genug Verstand, um sich vorzustellen, welche Folgen seine Tat haben würde.«
    »Was hat er denn getan?«, fragte Mr. Parsley, vergebens nach einer Lösung suchend.
    »Er riss das Stilett heraus und jagte es dem Inspector bis zum Griff in den Leib. Der Inspector taumelte und fiel ins Abwasser – zu weit entfernt von Dick. Irgendwo dort unten liegt der arme Ire noch immer. Oder es hat ihn ein paar Schritte weiter geschwemmt, bis zur nächsten Schwelle.«
    »G-glänzende Deduktion!« Fandorin neigte respektvoll den Kopf, und der Butler eilte nach Hause – dem »Standard« in einem Brief von der sensationellen Entdeckung berichten.

    In der vierten Woche seines Aufenthalts in Bristol kam Fandorin an einem Dienstag wie immer um fünf vom Spaziergang zurück und meinte, sich im Wochentag geirrt zu haben – was bei der Monotonie seines hiesigen Lebens kein Wunder gewesen wäre.
    In der Diele standen Mr. Parsleys Ledergaloschen, aus dem Zimmer drang seine volle, heisere Stimme, und das konnte nur eines heißen: Es war nicht Dienstag, sondern Donnerstag.
    Doch als Fandorin ins Esszimmer schaute, sah er, dass der Butler seine Livree trug und dass er nicht saß, sondern stand, und der Tisch nur für zwei Personen gedeckt war.
    Dann vernahm er eine seltsame Äußerung: »Abgesehen von allem anderen wäre das die Lösung für das Problem mit dem Haus in Exmoore – tausend Pfund sind schließlich kein Pappenstiel!«
    Daraus ergaben sich mehrere Schlussfolgerungen.
    Heute war doch nicht Donnerstag. Erstens.
    Es war etwas Außerordentliches passiert. Zweitens.
    Er musste unauffällig hinaufgehen in sein Zimmer. Drittens.
    Doch die Hausherrin bemerkte Fandorin und bat ihn an den Teetisch. Er murmelte, er wolle ihr Gespräch nicht stören, doch darauf sagte Mr. Parsley etwas höchst Merkwürdiges: »Ach, das ist doch kein Geheimnis – die Meldung wird schon heute Abend auf der ersten Seite des ›Western Daily‹ stehen!«
    Dann erzählte er Folgendes:
    Am Abend zuvor war Graf Berkeley verschwunden. Sein Diener hatte sich für einen Moment entfernt, und als er zurückkam, stellte er fest, dass der Graf sich von seinem Rollstuhl losgemacht hatte und verschwunden war. Der nachlässige Kammerdiener wurde natürlich fristlos entlassen, doch damit war das Problem nicht gelöst. Es war ganz offenkundig, dass Seine Erlaucht aus dem Haus gegangen war und sich verirrt hatte, was ja bei etwas verwirrten alten Leuten häufig geschieht. Der Ladenjunge des Lebensmittelhändlers in der Nachbarstraße hatte den Grafen in Hausschuhen und Schlafrock in Richtung Cliftonwood Road gehen sehen. Der Graf sei sogar »ziemlich forsch davongehumpelt«. Leider hatte der Junge es selbst eilig gehabt und erst am nächsten Morgen von seiner Beobachtung erzählt. Bis dahin hatte man im Park, auf dem Dachboden und im Keller nach dem Grafen gesucht, nun aber stand fest: Die Suche musste entschieden ausgeweitet werden.
    Die Söhne des Grafen und Mr. Parsley und seine Untergebenenrannten sich die Hacken ab. Es war zu vermuten, dass der Alte einen Weg aus seinem früheren Leben genommen hatte. Doch der Graf war weder in der Bank aufgetaucht, die er bis zu seinem Schlaganfall geleitet hatte, noch bei seinen alten Bekannten. Die Polizei schaltete sich in die Suche ein – ebenfalls vergebens. Vollkommen in Panik, lobte die Familie eine Belohnung von tausend Pfund aus.
    »Für den, der den Alten findet?« Fandorin nickte. »Sehr großzügig.«
    »Nicht den Alten, die Aktentasche!« Der Butler

Weitere Kostenlose Bücher