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Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Titel: Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Ray Pollock
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aber dafür hast du deine Alte mit dem Schraubenzieher umgebracht, oder vielleicht nicht? Das hast du doch wohl nicht vergessen?«
    »Nein, hab ich nicht«, antwortete Roy.
    »Na dann, und du glaubst, der Herr sieht in mir den größeren Sünder als in dir?«
    Roy zögerte einen Augenblick mit seiner Antwort. Dem Pamphlet zufolge, das er irgendwann mal in einem Nachtasyl der Heilsarmee unter dem Kopfkissen gefunden hatte, war Männerliebe wohl ungefähr so schlimm, wie die eigene Frau zu ermorden, aber Roy wusste nicht, wie es sich nun genau verhielt. Manchmal verwirrte ihn die Art, wie die Schwere der Sünden bestimmt wurde. »Nein, ich denke nicht«, antwortete er.
    »Dann würde ich vorschlagen, du hältst dich an deine pinkhaarige Krähe oder Elster oder was auch immer zum Teufel sie darstellt, und lässt Flapjack und mich in Ruhe«, sagte Theodore, fischte sich den feuchten Klumpen Kautabak aus dem Mund und warf ihn in Richtung des Beckens der Flamingo Lady. Beide hörten es platschen. »Wir tun niemandem weh.«
    Auf dem Banner vor dem Zelt stand DER SEHER UND DER SAITENZUPFER . Roy lieferte seine gruselige Endzeitvision, und Theodore die Hintergrundmusik. Es kostete einen Vierteldollar Eintritt; die Menschen davon zu überzeugen, dass Religion unterhaltsam sein konnte, war schwer, wenn es ein paar Meter entfernt spannendere und weniger ernste Ablenkungen gab, also war Roy auf die Idee gekommen, während seiner Predigt Insekten zu essen, eine Abwandlung seiner alten Spinnennummer. Alle paar Minuten unterbrach er seinen Sermon, zog einen sich windenden Wurm oder eine knusprige Küchenschabe aus einem alten Angeleimer und kaute darauf herum wie auf einer Süßigkeit. Die Geschäfte gingen danach besser. Je nach Zuschauerzahl gaben sie vier, manchmal fünf Vorstellungen am Tag und wechselten sich alle Dreiviertelstunde mit der Flamingo Lady ab. Nach jeder Vorstellung verschwand Roy schnell hinterm Zelt und würgte die Käfer hoch, und Theodore folgte ihm in seinem Rollstuhl. In der Wartezeit rauchten sie, tranken und hörten den Betrunkenen zu, die im Zelt johlten und riefen und den falschen Vogel aufforderten, doch mal die Federn fallen zu lassen.
    1963 waren sie seit fast vier Jahren bei diesem Zirkus,
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, und sie reisten von Anfang des Frühlings bis zum Spätherbst in einem alten Schulbus voller gammliger Leinwände, Klappstühle und Metallstangen von einer Seite des heißen, schwülen Südens zum anderen. Sie schlugen ihre Zelte stets in staubigen, nach Schweinekot stinkenden Käffern auf, in denen die Einwohner ein paar knarzende Fahrgeschäfte und zahnlose, flohverseuchte Dschungelkatzen und eine zerlumpte Monstrositätenschau bereits für erstklassige Unterhaltung hielten. An guten Tagen machten Roy und Theodore zwanzig bis dreißig Dollar. Die Flamingo Lady und Flapjack der Clown bekamen den Großteil dessen, was die beiden nicht für Schnaps, Käfer oder Hotdogs ausgaben. West Virginia schien eine Million Meilen entfernt, und die beiden Flüchtigen konnten sich nicht vorstellen, dass der Arm des Gesetzes in Coal Creek jemals bis zu ihnen reichen würde. Es war fast vierzehn Jahre her, dass sie Helen begraben hatten und nach Süden geflohen waren. Sie machten sich nicht mal mehr die Mühe, sich falsche Namen zuzulegen.

19.
    An Arvins fünfzehntem Geburtstag reichte ihm Onkel Earskell eine in ein weiches Tuch eingewickelte Pistole, dazu eine verstaubte Schachtel Munition. »Die gehörte deinem Dad«, erklärte er. »Eine deutsche Luger. Hat er aus dem Krieg mitgebracht. Ich schätze, er würde wollen, dass du sie kriegst.« Der alte Mann hatte noch nie irgendeine Verwendung für Handfeuerwaffen gehabt, deshalb hatte er sie unter einer Diele in der Räucherkammer versteckt, als Willard nach Ohio ging. Er hatte sie nur angerührt, um sie gelegentlich zu säubern. Als er die Freude im Gesicht des Jungen sah, war er froh, dass er nicht schwach geworden war und sie verhökert hatte. Sie hatten gerade gegessen, und auf dem Teller lag noch ein Stück gebratenes Kaninchen. Earskell überlegte hin und her, ob er den Hinterlauf nicht für das Frühstück aufheben sollte, dann nahm er ihn und knabberte daran herum.
    Arvin öffnete vorsichtig das Stoffbündel. Die einzige Waffe, die sein Vater im Haus gehabt hatte, war ein Gewehr, Kaliber .22, und Willard hatte ihm nie erlaubt, sie auch nur anzufassen, geschweige denn damit zu schießen. Earskell wiederum hatte dem Jungen, keine drei oder

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