Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
winzige Stücke eines zerbrochenen Spiegels. Sie erinnerten ihn an den Glitzer, den Flapjack sich auf die Augenbrauen gepinselt hatte. Eines Abends, etwa ein Jahr nach dem Zwischenfall mit dem Jungen, hatten sich Roy und er bei Chattahochee nur für ein paar Minuten wieder in den Zirkus geschlichen. Nein, hatte der Hotdog-Verkäufer gesagt, Flapjack sei nicht mehr da. Sie hätten ihre Zelte außerhalb irgendeines Kuhkaffs in Arkansas aufgeschlagen, und eines Nachts sei er einfach verschwunden. »Mann, wir waren am nächsten Tag schon halb durch den Staat, bevor ihn irgendjemand vermisst hat. Ihr Jungs wisst doch, wie der alte Bradford ist, nur das Geschäft im Kopf. Er meinte, Flapjack sei sowieso nicht mehr lustig gewesen.«
Theodore war so müde, er hatte das alles so satt. »Aber wir hatten auch gute Zeiten, oder, Roy?« fragte er laut, doch Roy rührte sich nicht. Theodore trank noch einen Schluck und stellte sich die Flasche auf den Schoß. »Gute Zeiten«, wiederholte er leise. Die Sterne verschwammen vor seinen Augen und verschwanden. Er träumte von Flapjack in seinem Clownskostüm, von kahlen Kirchen mit leuchtenden Laternen, von lauten Spelunken mit Sägemehl auf den Fußböden. Dann leckte ihn das Meer sanft an den Füßen. Er konnte das kühle Wasser spüren. Theodore lächelte, schob sich hinaus, trieb aufs Meer, weiter als jemals zu-vor. Er hatte keine Angst; Gott rief ihn heim, und schon bald würden seine Beine wieder gut sein. Doch am Morgen wachte er auf dem harten Boden auf und war enttäuscht, noch immer am Leben zu sein. Er griff nach unten und berührte seine Hose. Er hatte sich wieder eingenässt. Roy war schon fort zur Arbeit auf der Obstplantage. Theodore lag mit einer Gesichtshälfte im Staub. Er starrte einen Haufen seines fliegenbedeckten Kots an und versuchte, wieder einzuschlafen, er wollte zurück ins Wasser.
32.
Emma und Arvin standen vor der Fleischtheke im Lebensmittelladen von Lewisburg. Es war Monatsende, und die alte Frau hatte nicht mehr allzu viel Geld, aber der neue Prediger sollte am Sonntag kommen. Die Gemeinde gab ihm und seiner Frau zu Ehren in der Kirche ein Gemeinschaftsessen, zu dem jeder etwas beisteuerte. »Glaubst du, Hühnerleber ist in Ordnung?« fragte sie, nachdem sie im Kopf alles durchgerechnet hatte. Leber war am billigsten.
»Warum denn nicht?« entgegnete Arvin. Zu diesem Zeitpunkt hätte er allem beigepflichtet; selbst Schweineschnauze wäre völlig okay für ihn gewesen. Die alte Frau starrte die Auslage mit dem blutigen Fleisch nun schon zwanzig Minuten lang an.
»Ich weiß nicht«, sagte sie zögerlich. »Alle sagen immer, wie ich sie mache, schmecke ihnen, aber …«
»Na gut«, sagte Arvin, »dann kauf doch allen ein dickes Steak.«
»Pah«, machte sie. »Du weißt doch, dass ich mir das nicht leisten kann.«
»Dann also Hühnerleber«, sagte er und winkte dem Metzger mit der weißen Schürze. »Grandma, mach dir keine Sorgen. Es ist doch nur ein Prediger. Ich würde sagen, der hat schon erheblich Schlimmeres gegessen als das.«
Am Samstagabend deckte Emma ihre Pfanne Hühnerleber mit einem sauberen Tuch zu, und Arvin stellte sie vorsichtig im hinteren Fußraum seines Wagens ab. Seine Großmutter und Lenora waren nervös; den ganzen Tag lang hatten sie geübt, wie sie sich vorstellen würden. »Sehr erfreut«, hatten sie jedes Mal zueinander gesagt, wenn sie sich in dem kleinen Haus begegnet waren. Arvin und Earskell hatten auf der vorderen Veranda gesessen und gekichert, doch nach einer Weile wurde die Sache schal. »Himmel, Junge, ich halt das nicht mehr aus«, sagte der alte Mann schließlich. Er stand aus seinem Schaukelstuhl auf, ging ums Haus und verschwand im Wald. Arvin brauchte mehrere Tage, um diese zwei Wörter, diesen »Sehr erfreut«-Mist aus dem Kopf zu kriegen.
Als sie gegen sechs Uhr ankamen, war der Schotterplatz rings um die alte Kirche bereits voller Autos. Arvin trug die Pfanne hinein und stellte sie auf den Tisch neben all die anderen Fleischgerichte. Der neue Prediger, groß und stattlich, stand mitten im Raum, schüttelte Hände und sagte immer wieder: »Sehr erfreut.« Er hieß Preston Teagardin. Sein längeres blondes Haar war mit parfümiertem Haaröl nach hinten gestrichen, an einer seiner haarigen Hände glitzerte ein ovaler Stein, an der anderen ein dünner Ehering. Er trug eine glänzende blassblaue Hose und ein weißes Rüschenhemd, das schon völlig durchgeschwitzt war, dabei war es erst der I. April und
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