Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
Flamingo Lady, über den Mitesser und all die anderen verlorenen Seelen, denen sie unterwegs begegnet waren. Manchmal ertappte er sich dabei, wie er darauf wartete, dass Theodore lachte oder etwas anfügte, das er vergessen hatte. Nach ein paar Stunden gab es keine Geschichten mehr zu erzählen, und Roy fühlte sich so einsam wie noch nie in seinem Leben. »Ein ganz schön weiter Weg von Coal Creek bis hierher, oder?« war das Letzte, was er sagte, dann legte er sich auf seine Decke.
Roy wurde kurz vor Sonnenaufgang wach. Er feuchtete einen Lappen mit Wasser aus dem Krug an, den sie stets am Rücken des Rollstuhls festmachten. Er wischte Theodore den Schmutz aus dem Gesicht, kämmte ihm die Haare und schloss ihm mit dem Daumen die Augen. In der letzten Flasche Wein war noch ein Schluck, er stellte sie auf den Schoß des Krüppels und setzte ihm seinen zerlumpten Strohhut auf. Dann wickelte er seine Habseligkeiten in eine Decke, stand eine Weile da und legte dem Toten schließlich eine Hand auf die Schulter. Er schloss die Augen und sprach noch ein paar Worte. Roy war klar, dass er nie wieder predigen würde, aber das war schon in Ordnung. Er war sowieso noch nie sonderlich gut darin gewesen. Die meisten Leute waren nur gekommen, um den Krüppel spielen zu hören. »Schade, dass du nicht mitkommen kannst, Theodore«, sagte Roy. Er hatte bereits zwei Meilen die Straße entlang hinter sich gebracht, als endlich jemand hielt und ihn mitnahm.
6. TEIL
SCHLANGEN
40.
Gott sei Dank, der Juli ging zu Ende. Carl konnte es kaum noch erwarten, wieder auf die Straße zu kommen. Er trug die beiden Gläser mit Sandys Trinkgeldern zur Bank und ließ sich den Inhalt in Scheine wechseln, dann verbrachte er die folgenden paar Tage damit, Proviant einzukaufen, dazu zwei neue Outfits, ein paar Rüschenhöschen von JC Penney für Sandy, einen Kanister Motoröl, Ersatzzündkerzen, eine Bügelsäge, die heruntergesetzt war und die er einfach so kaufte, fünfzehn Meter Seil, einen Straßenkartensatz für die Südstaaten vom Automobilclub, zwei Stangen Salem und ein Dutzend Hundepimmel. Als er mit den Einkäufen fertig war und neue Bremsklötze auf den Wagen hatte aufziehen lassen, waren nur noch 134 Dollar übrig, aber damit würden sie weit kommen. Verdammt, dachte Carl, als er am Küchentisch saß und noch einmal nachzählte, mit so viel Geld konnten sie eine Woche lang wie die Könige leben. Er erinnerte sich an den Sommer vor zwei Jahren, als sie Meade mit 40 Dollar verlassen hatten. Die ganze Zeit über hatte es nur Dosenfleisch und alte Chips und abgezapftes Benzin gegeben, und sie hatten im glühend heißen Wagen schlafen müssen, doch sie schafften es, mit dem Geld, das sie den Models abnahmen, sechzehn Tage unterwegs zu bleiben. Verglichen damit ging es ihnen diesmal blendend.
Dennoch störte ihn etwas. Eines Abends hatte er sich die Fotos angeschaut, um sich auf die Jagd einzustimmen, als er auf das Bild vom letzten Jahr gestoßen war, auf dem Sandy diesen Armeeburschen umklammerte. Carl hatte schon irgendwie bemerkt, dass sie nicht mehr ganz dieselbe gewesen war, seit er den Typen umgelegt hatte, so als hätte er ihr in jener Nacht etwas Kostbares genommen. Doch auf dem Foto in seiner Hand lag ein Ausdruck von Abscheu und Enttäuschung auf ihrem Gesicht, der ihm noch gar nicht aufgefallen war. Er saß da, starrte das Foto an und wünschte sich, er hätte ihr niemals die Knarre gekauft. Und dann war da noch die Sache mit der Kellnerin im
White Cow
. Sandy hatte angefangen, ihn zu fragen, wo er denn abends hinging, wenn sie arbeitete, und auch wenn sie nicht mit der Sache herausrückte und ihn beschuldigte, fragte er sich langsam, ob sie vielleicht was gehört hatte. Auch die Kellnerin war nicht mehr so freundlich wie früher. Wahrscheinlich sah er nur Gespenster, aber es war schon schwer genug, mit den Models klarzukommen; er wollte sich nicht auch noch Sorgen darüber machen müssen, ob sein Köder sich gegen ihn wenden könnte. Am folgenden Tag stattete er dem Eisenwarenladen im Central Center einen Besuch ab. Nachts entlud er ihre Pistole – sie hatte sie stets in ihrer Handtasche bei sich – und ersetzte die Hohlspitzmunition durch Platzpatronen. Je mehr er darüber nachdachte, umso weniger konnte er sich eine Situation vorstellen, in der sie die Waffe überhaupt abfeuern musste.
Als eine der letzten Vorbereitungen vor der Reise machte er sich einen neuen Abzug seines Lieblingsfotos. Er faltete es zusammen und steckte es
Weitere Kostenlose Bücher