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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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mein Treffen mit Lilly kam mir unwirklich vor, als ich mich ein paar Tage später mit Paul verabredete. Es war wieder einmal das Café in Ottensen, wo wir uns sahen, und er hatte ihr Buch dabei, ging damit aber nicht so hart ins Gericht, wie ich es mir erwartet hatte, im Gegenteil, er nahm es zum Anlaß, wieder von der gemeinsamen Innsbrucker Zeit zu schwärmen und dabei von ihr zu sprechen, als hätte er sich nie abfällig über sie geäußert. Obwohl ich seine Sentimentalität bereits erlebt hatte, war ich überrascht, wie er sich davon wegschwemmen ließ, eine Anekdote folgte auf die andere, lauter harmlose, aus irgendeinem Grund für ihn aber wieder erzählbare Geschichten, bis er am Ende sagte, er habe sich mit ihr und Allmayer damals wenigstens ein paar Monate lang zu Hause gefühlt, und es nicht gleich wieder durch neue Attacken zurücknahm.
    Als ich mich kurz danach überreden ließ, mir mit ihm im Altonaer Theater Belgrader Trilogie anzusehen, das Stück einer jungen serbischen Autorin, stießen wir dort zufällig auf Isabella, und weil ich meine Eintrittskarte aufbewahrt habe, kann ich sogar noch genau sagen, daß das am 29. Oktober gewesen sein muß, ein oder zwei Tage nach der Premiere. Die Aufführung fand im Foyer statt, und sie stürzte erst unmittelbar vor Beginn herein und ließ sich auf einer der untersten Stufen der beiden Treppenaufgänge nieder, auf denen die Zuschauer saßen, direkt zu Füßen der Schauspieler, und ich erinnere mich, wie ich sie dann von oben beobachtete, ihr Halbprofil die ganze Zeit im Blick hatte, während sie, reglos an den gläsernen Liftschacht gelehnt, die Szene verfolgte. Sie hatte ihren Mantel nicht abgelegt, als könnte sie jeden Moment aufspringen und wieder hinauseilen, wirkte sehr blaß, sehr konzentriert, geradezu ängstlich abwartend, aufrecht, wie sie sich hielt, ihr Haar hochgesteckt, mit ein paar im Scheinwerferlicht fliegenden Strähnen, ein hell leuchtender Fleck unter der dunklen Fensterfront über dem Eingang, und ich dachte sofort, sie gehörte dazu, war Teil dessen, was vor ihren Augen gespielt wurde.
    Das war dreieinhalb Wochen, nachdem das Belgrader Regime gestürzt worden war, und als wir in der Pause zu dritt zusammenstanden und Paul sagte, das half den Figuren auf der Bühne aber nicht mehr, sie waren auf ewig aus ihrer Heimatstadt Geflohene, an einem Silvesterabend über die halbe Welt verstreut und damit ein für alle Mal im Exil, sah Isabella ihn nur verständnislos an.
    »Für mich ist es auch zu spät gekommen«, sagte sie dann, wie um ihn damit in die Wirklichkeit zurückzuholen. »Wäre es zwei Jahre früher passiert, hätte ich ein ganz anderes Leben.«
    Es war klar, daß sie an Allmayer dachte, und deshalb überraschte es mich auch nicht, als sie auf die Kassette mit dem Interview zu sprechen kam und sich an Paul wandte.
    »Sind Sie eigentlich noch an ihr interessiert?«
    Damit hatte er offensichtlich nicht gerechnet.
    »Natürlich«, sagte er zögernd, als glaubte er nicht, daß sie es ernst meinte. »Sie müssen sie nur endlich herausrücken.«
    Er hätte sich am liebsten gleich für den nächsten Tag mit ihr verabredet, aber sie entgegnete ihm, sie fahre am Morgen für eine Zeit nach Wien, und so lange solle er Geduld haben, und als sich dann auch noch herausstellte, daß sie von Lilly eingeladen war, schüttelte er den Kopf.
    »Ich wundere mich, daß Sie Kontakt zu ihr haben.«
    Mehr brachte er nicht hervor, und obwohl er sie kaum kannte, klang es enttäuscht. Er schaute sie an, als wäre er selbst nicht sicher, ob er eine Antwort darauf wollte oder umgekehrt fürchtete, sie könnte mit noch mehr kommen, wenn sie erst einmal anfing, und ihm Eröffnungen machen, die vielleicht heikel waren. Sein Blick hatte etwas Herausforderndes und zog sich sofort in sich zurück, wenn er auf ihren traf, daß sie merkte, wie unangenehm ihm das Thema war, und sich schließlich zwischen Frage und Feststellung vortastete.
    »Sie mögen sie nicht.«
    Er zuckte mit den Schultern, konnte es sich dieses Mal dann aber doch nicht verkneifen, von Allmayers Begräbnis zu sprechen und wie sie sich dabei produziert hatte.
    »Sie hat versucht, Ihnen den Rang als Witwe abzulaufen.«
    Darauf lachte sie nur.
    »Wenn es so ist, bin ich froh, daß sie es getan hat«, sagte sie schließlich. »Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, wie ich das Ganze ohne sie überstanden hätte.«
    Das war es auch schon, und als wir wieder hineingingen, vermied sie es aus irgendeinem

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