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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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stand, bemerkten sie mich nicht, und ich hatte Zeit, ihr Gesicht zu beobachten, sah wieder das Untröstliche darin, die Hilflosigkeit, die mich an etwas Papierenes denken ließ, das man mit einem unachtsamen Griff zerknittern konnte, und wußte, was er ihr auch erzählen mochte, für sie kam es zu spät. Er faßte immer wieder nach ihrer Hand, und selbst wenn ich kaum etwas hörte, ahnte ich doch, daß es um mich ging, verstand aber die Aufregung nicht und wollte sie auch gar nicht verstehen, hatte schon von den paar Worten genug, die ich aufschnappte, den Ausdrücken, die auf mich gemünzt waren und von denen Piefke der noch mit Abstand freundlichste zu sein schien.
    Daran mußte ich immer noch denken, als ich eine Stunde später in der englischen Buchhandlung in der Sterngasse Zeuge eines Gesprächs wurde, das mich von neuem an Waldner erinnerte, war es doch der gleiche Furor, mit dem die Buchhändlerin auf eine amerikanische Touristin einredete. Ich hatte den Anfang nicht gehört und war erst darauf aufmerksam geworden, als sie von Faschisten sprach und dabei ihre Stimme hob und die mit Einkaufstaschen bepackte Frau fixierte. Es war mir entgangen, wen sie damit meinte, aber während ich das noch herauszufinden versuchte, merkte ich, daß es egal war, denn je öfter sie das Wort wiederholte, um so umfassender schien sie es zu gebrauchen, um so mehr schien es, von ihren weit ausholenden Gesten begleitet, einzuschließen, bis es am Ende alles und jeder sein konnte, um so eindeutiger hatte sie ihre Hörerin in den Bann gezogen, die vor ihr stand und wieder und wieder ein atemloses oh my God hervorstieß, oh my God, I can’t believe it, oh my God .
    Es war eine merkwürdige Paarung, das aufgekratzte Persönchen, das endlich eine Hand freibekommen hatte und sie sich in einer Mischung aus Fasziniertheit und Entsetzen vor den Mund hielt, und die früh grau gewordene, ein wenig alttantenhaft wirkende Dame hinter der Verkaufstheke, die allem Anschein nach schon etwas getrunken hatte und sich bebend vor Couragiertheit immer weiter in ihren Taumel hineinsteigerte.
    »Eine Bande von Mordbuben ist es«, sagte sie, als sie selbst genug davon hatte, sich nur auf das eine Wort zu beschränken. »Die sind zu allem fähig, wenn man ihnen nicht ihre Grenzen zeigt.«
    Ich wollte mich gerade unauffällig zurückziehen, als ich plötzlich ihren Blick auf mir spürte und sie sich an mich wandte.
    »Finden Sie nicht auch?«
    Das kam so überraschend, daß ich nicht auf der Hut war.
    »Ich weiß nicht«, erwiderte ich ausweichend, weil ich noch immer keine Gewißheit hatte, um wen es ging. »Dazu kann ich leider nichts sagen.«
    Es war das Falscheste, was ich tun konnte, aber bevor ich das begriff, hatte ich ihre Aufmerksamkeit ganz auf mich gelenkt, und sie versuchte schon, mich festzunageln.
    »So schwer wird das doch auch wieder nicht sein.«
    Anklagend, wie sie es aussprach, wurde mir bewußt, es war die letzte Gelegenheit, mich noch einigermaßen heil aus der Affäre zu ziehen, aber ich ließ sie verstreichen und zuckte nur mit den Schultern, und so, wie sie mich ansah, gab es keinen Zweifel, wen immer sie bis dahin mit ihren Bezichtigungen gemeint hatte, sie würden fortan auch auf mich zutreffen. Es war mir unmöglich, etwas zu entgegnen, was die Situation vielleicht geklärt hätte, so wenig konnte ich mit ihrem Gebaren anfangen, und ich stand nur da und starrte sie genauso schweigend an wie sie mich, bis ich merkte, sie wartete darauf, daß ich verschwand, und wollte davor kein Wort mehr verlieren. Ich wußte nicht, ob ich mich ärgern oder ob ich lachen sollte, mir schien beides gleich aberwitzig, bleiben wie gehen, weil sie sich in jedem Fall bestätigt fühlen würde, und erst als ich meinen Blick von ihr abwandte und die immer noch zwischen Begeisterung und Verschrecktheit hin- und herschwankende Amerikanerin fixierte, gelang es mir, meine Erstarrung zu durchbrechen, und ich stand im nächsten Augenblick schon auf der Straße, erleichtert, entkommen zu sein, wenn auch mit dem Gefühl, für sie nach der Fiakerfahrt, die sie vielleicht gemacht hatte, und den Lipizzanern in der Spanischen Hofreitschule eine weitere landestypische Sehenswürdigkeit abgegeben zu haben.
    In Hamburg zurück, konnte ich mir das alles nur noch schwer vorstellen, so absurd war es, ich mochte die Stadt wie schon lange nicht mehr, ihre Weite, ihre Helligkeit, ihre schnell wechselnden Himmel, die Luft und das Licht, von dem es in Wien nicht genug gab, und

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