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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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wenn ich mich mehr zurückgehalten hätte, aber zu guter Letzt spielte es ohnehin keine Rolle, interessierte ich mich einfach nicht mehr dafür, so wenig vermochte ich mit ihrem migränischen Getue anzufangen, dem alles eine Zumutung war.
    Während ich aus den Augenwinkeln beobachtete, wie der Mann am Nachbartisch sich mit beiden Händen das Haar glattstrich, erinnerte ich mich wieder daran, daß Paul gesagt hatte, Allmayer habe nicht nur einmal geklagt, wie fremd ihm das normale Leben durch den Krieg geworden war, und ich konnte ihn mir unmöglich an ihrer Seite vorstellen. Mir drängte sich das Bild von einem auf, der untertag gearbeitet hatte, schmutzstarrend nach Hause kam und, weil er nicht eingelassen wurde, durch ein Fenster hineinschaute und sie im Kerzenlicht an einem weißgedeckten Tisch sitzen sah, keine zwei Meter und doch unerreichbar weit weg, und ich hätte sie am liebsten gefragt, was sie sich mit ihrer Zickigkeit eigentlich erlaubte, schwieg aber. Es war etwas an ihm, das sich nicht abwaschen ließ, etwas, das er von draußen mitbrachte, ein Kainsmal, und ob es mir gefiel oder nicht, mein erster Impuls war, ihn gegen ihre zur Schau gestellte Reinheit zu verteidigen, ihn vor ihrer Verdammung in Schutz zu nehmen, die mir allzu wohlfeil war.
    Daher fragte ich sie auch, ob sie ihm von seiner Arbeit abgeraten hätte, wenn sie noch mit ihm zusammen gewesen wäre, als er zum ersten Mal in ein Kampfgebiet aufgebrochen war, aber sie schien nicht zu verstehen, wie ich das meinte, und gab sich überrascht.
    »Warum hätte ich das tun sollen?«
    Ich überlegte nicht lange.
    »Um ihn vor seinem Ende zu bewahren.«
    Ich erinnere mich noch, wie sie lachte, als könnte es sich nur um einen Scherz handeln, wenn es nicht überhaupt ein Mißverständnis war.
    »Das ist bei ihm doch vollkommen absurd gewesen«, erwiderte sie dann. »Er hat überhaupt erst mit dem Unsinn angefangen, weil er sich ohne die Aufregung tot gefühlt hat.«
    Ich wußte nicht, ob das stimmte oder ob sie es sich nur leicht machte und einfach die Erklärung nahm, die man als erstes parat hatte, wenn man sich fragte, warum jemand freiwillig solche Gefahren einging.
    »Er hat selbst immer gesagt, es wäre die schlimmste Vorstellung für ihn, in einem Büro zu versauern«, fuhr sie fort. »Seine Devise war, ob er sich verstecke oder nicht, zu guter Letzt würde ihn ohnehin der Teufel holen.«
    Das klang forscher, als ich es ihr zugetraut hätte, und als ich zu bedenken gab, es wäre vielleicht trotzdem möglich gewesen, ihn zu beeinflussen, sich alles noch einmal zu überlegen, merkte ich, wie sie ungeduldig wurde. Es war sicher zu viel, daß ich sagte, sterben könnte ja ansteckend sein, so lange, wie er sich dem ausgesetzt hatte, aber es störte mich trotzdem, daß sie gelangweilt umherschaute. Als ich meinte, er wäre wahrscheinlich allein schon aufgrund dessen, was er gesehen hatte, kaum mehr unbeschadet aus seinem Abenteuer herausgekommen, tat sie so, als ob sie nicht zuhören würde, um mir dann heftig zu widersprechen.
    »Wenn es stimmt, was er erzählt hat, war es in all den Jahren ein einziger Toter«, sagte sie. »Sonst ist es ihm angeblich immer gelungen, rechtzeitig die Augen zu schließen.«
    Obwohl das nach allem, was ich wußte, kaum richtig sein konnte, ließ ich sie reden. Es war eine Geschichte, die sie sich wozu auch immer zurechtgelegt hatte, aber ich erinnerte mich später meistens genau daran, wenn ich an sie dachte, mir fiel dann wieder ihre etwas harmlose Version vom unbekannten Soldaten ein, der im Tod ausgesehen hatte, als würde er nur schlafen, und darüber hätte ich auch noch am ehesten schreiben wollen. Denn noch während ich ihr gegenübersaß, hatte ich mich schon entschieden, nichts von dem Interview mit ihr zu bringen, und meine Zusicherungen, als ich aufstand und mich verabschiedete, ihr einen Beleg zu schicken, blieben leere Versprechen. Das einzige, was mir dabei durch den Kopf ging, war, daß ich ihr nichts von meiner Bekanntschaft mit Paul erzählt hatte und daß er nun genauso wenig etwas von meinem Besuch bei ihr erfahren würde und ich so tun konnte, als hätte ich sie nie getroffen, als wäre mein Bild von ihr nichts anderes als das, was er mir anvertraut hatte, die Summe seiner Vorbehalte gegen sie.
    Ich war schon draußen, als ich noch einmal umkehrte, um mich zu vergewissern, und natürlich hatte sich der Mann vom Nachbartisch zu ihr gesetzt und sprach auf sie ein. Obwohl ich nicht weit von ihnen weg

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