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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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gewußt, daß das Aufnahmegerät an war, aber was sie dann sprachen, schien ohnehin unverfänglich zu sein, Allmayers Fragen nach dem Frontverlauf und seine eher zurückhaltenden Antworten, seine Ausweichmanöver und wiederkehrenden Hinweise, zu bestimmten Dingen nichts Näheres verraten zu können, weil sie der Geheimhaltung unterlagen. Es war nicht viel mehr als Geplänkel, bis er ihm etwas zu trinken anbot und ihn drängte, als er ablehnte, denn da kam zum ersten Mal ein anderer Ton auf, ein Beharren, das keinen Widerspruch duldete. Offensichtlich von ihm abgewandt, sprach er plötzlich kroatisch, und im Hintergrund war Gelächter zu hören, während sich ganz nah eine andere Stimme einschaltete, wahrscheinlich die des Dolmetschers, leise und doch so eindringlich, daß sie etwas Beschwörendes hatte.
    »Einen Schnaps können Sie ihm unmöglich abschlagen.«
    Das war das erste Mal, daß Paul das Band stoppte und zurückspulte, um von neuem zu hören, was Slavko gesagt hatte, und dann Helena fragend anzusehen.
    »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, er hat ihn vor seinen Leuten ein elendes Muttersöhnchen genannt«, war ihre Auskunft. »Falls ich es richtig verstanden habe, ist es dann um die Frage gegangen, ob er ihm Manieren beibringen soll, wenn er seine Einladung zurückweist.«
    Das klang so gewunden, daß sie gar nichts erwähnen mußte und ich mir trotzdem vorstellen konnte, mit was für Unflätigkeiten es wahrscheinlich gewürzt gewesen war. Sie schien sich unbehaglich zu fühlen, starrte vor sich hin und suchte meinen Blick, bevor sie aus dem Fenster schaute, wie wenn sie sich am liebsten draußen irgendwo verlieren würde. Ich sah, daß Paul sie nicht aus den Augen ließ, und als er das Aufnahmegerät wieder einschaltete und Slavko noch einmal einsetzte, wurde ich den Eindruck nicht los, sie formte mit ihren Lippen lautlos Silbe für Silbe nach und tat das, ohne sich dessen bewußt zu sein.
    Eine Zeitlang lief das Band, als wäre nichts weiter drauf, und dann war ein hohles Grölen zu hören, und sie sagte überflüssigerweise, sie prosten ihm zu.
    »Živio.«
    Das war stets von neuem herauszuhören, und dazu die Anrede, die auch das Mädchen in Slavonski Brod verwendet hatte, wenn es ihn ansprach.
    »Živio, keptn, živio.«
    Dann kam wieder die Stimme des Dolmetschers, der Allmayer aufforderte, die Flasche zu nehmen und zu trinken, er selbst, wie er das Wort nachplapperte, und was darauf folgte, mußte Slavkos Lachen sein, ein Husten mehr, das sich überschlug, ein atemlos wirkendes Keuchen.
    »Vidite švabu.«
    Das war ironisch anerkennend, offensichtlich an seine Männer gewandt, und Helena nickte nur und ließ es unübersetzt, weil er dann gleich wieder auf sein Deutsch umschwenkte.
    »Wenn das kein kräftiger Zug ist.«
    Statt einer Antwort gab es ein Durcheinander von Stimmen, aus dem ab und zu ein paar Silben hervortraten, und während ich einmal Paul, einmal Helena ansah, war allein aus den Trinksprüchen zu schließen, daß die Flasche reihum ging. Beide lauschten gespannt, das kleinste unerwartete Geräusch genügte, daß sie sich fragende Blicke zuwarfen, und wenn es bis auf das schleppende Rauschen des Bandes still wurde, unterließ er es kein einziges Mal, sie zu berühren, eine Hand auf der Ein-Aus-Taste, die andere auf ihrem Arm. Sie hatte sich auf den Rand seines Fauteuils gesetzt, und dort saß sie reglos, an seine Schulter gelehnt, und die Aufnahme schien sich schon wieder im Nichts zu verlieren, als plötzlich Allmayer ganz klar zu vernehmen war.
    »Wie weit ist es eigentlich bis zur serbischen Grenze?«
    Das war eine heikle Frage, und Paul schien das Band wie vor Schreck anzuhalten. Er spulte es zurück und startete es wieder, als hätte er sich verhört, und es müßte beim zweiten Durchlauf etwas anderes herauskommen. Die gleichen Worte wirkten in der Wiederholung aber nur noch unwirklicher, und er legte sich einen Finger auf die Lippen, damit Helena nicht dazwischenredete, als Slavko sie für seine Männer übersetzte.
    Ich hatte einen Aufschrei erwartet, aber nichts, und plötzlich war ich mir sicher, in dem fortlaufenden Knistern ein fernes Maschinengewehrknattern zu hören. Natürlich konnte ich mich täuschen, schlecht, wie die Aufnahme war, aber dann gab es keinen Zweifel mehr, es mußten Schüsse sein, vier oder fünf, als Antwort darauf, deutlich voneinander abgesetzt, trocken und ohne Nachhall, und das Band schien sich ein paar Augenblicke lang wie im Leerlauf ohne

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