Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
Vom Netzwerk:
Grund, neben uns zu sitzen zu kommen, ließ sich Zeit, bis wir saßen, und nahm dann so Platz, daß ich sie nur zu sehen vermochte, indem ich meinen Kopf nach ihr verrenkte. Wenn sie wollte, konnte sie dafür uns jetzt beobachten, aber sooft ich einen Blick riskierte, mußte ich feststellen, daß sie nicht herschaute, entweder vom Geschehen auf der Bühne gepackt war oder auch nur vor sich hinstarrte, eingekeilt zwischen zwei südländisch aussehenden Männern, die statt dessen auf mich aufmerksam wurden. Ich wußte nicht, was wir falsch gemacht hatten, doch der Schlußapplaus war noch nicht verklungen, als sie aufbrach, ohne sich von uns zu verabschieden, und wir sahen uns vor dem Eingang vergeblich um, ob sie nicht vielleicht noch irgendwo stand und auf uns wartete.
    So merkwürdig das war, einen Monat später hatte Paul nichtsdestotrotz die Kassette, und ich weiß noch, wie er mich anrief und fragte, ob ich kommen und sie mir gemeinsam mit ihm und Helena anhören wollte. Weil sie in ihrer Wohnung einen Wasserschaden hatten, waren sie für eine Woche in das freistehende Atelier eines befreundeten Malers in der Karolinenstraße gezogen, aber wenn ich daran denke, wie sie mich dort empfingen, er schon aufgeregt, als ich ankam, sie vielleicht allzu gelassen, hätte es genauso gut auch nur für mich inszeniert sein können. Es war im obersten Stock eines ehemaligen Speichers, und ich bringe das Rauschen, als er das Aufnahmegerät einschaltete und sie dabei bedeutungsvoll ansah, seither immer mit dem Blick aus dem Fenster in Verbindung, die sich keuchend und raschelnd abspulende Stille vor Beginn des Gesprächs mit den über den Dächern vorbeiziehenden Schlieren, dem blinkenden Fernsehturm, der im letzten Abendlicht zu sehen war, und dem wasserköpfigen Lastenflugzeug, das gerade lautlos durch die Wolkendecke brach und, schwankend im Landeanflug, auf Finkenwerder zuhielt. Ich erinnere mich, daß weder er noch sie etwas sagte, und die einzigen Geräusche, die von draußen hereindrangen, waren die fernen Schreie vom Vergnügungspark auf dem Heiligengeistfeld, ein Kreischen, das auf seinem höchsten Punkt brach, ein Aussetzer, einen Augenblick lang, und der Schreck und die Lust beim Fall zurück auf die Erde.
    Dann erst waren Stimmen zu hören, eine Mischung aus Kroatisch und Deutsch, unverständlich bis auf einzelne Worte, allem Anschein nach die Begrüßung, bevor es von neuem still wurde, wieder das Rauschen, ein kleinerer Raum, wie es schien, und schließlich glaubte ich, Slavko zu erkennen.
    »Was wollen Sie?«
    Es dauerte einen Augenblick, bis die Antwort kam.
    »Mit Ihnen reden.«
    Das mußte Allmayer sein, und obwohl ich mir nie Gedanken darüber gemacht hatte, wie er klingen würde, überraschte mich sein Ton. Es war die Festigkeit, mit der er sprach, die nicht zu ihm passen wollte, und für mich hörte es sich an, als hätte er seinen ganzen Mut zusammengenommen. Ich konnte ihn mir vorstellen, wie er dagestanden war, ein bißchen eingeschüchtert, müde von den Anstrengungen des Tages und vielleicht schon voller Zweifel, ob es eine gute Idee gewesen war, so weit zu fahren, nur um diesen Kerl zu treffen, der ihn auf eine Entgegnung lange warten ließ und dann zu allem Überfluß auch noch reserviert tat.
    »Ich habe keine Ahnung, was ich Ihnen sagen könnte.«
    Er sprach verlangsamt, und mir fiel sofort auf, daß er wahrscheinlich getrunken hatte, so sehr bemühte er sich, ein Wort klar vom anderen zu trennen.
    »Sie wissen doch ohnehin alles über mich«, sagte er. »Egal, was ich Ihnen erzähle, es ist entweder eine Bestätigung oder ein Beweis dafür, daß ich etwas zu verbergen habe.«
    Ich hatte nicht erwartet, daß er solche Bedenken haben könnte, um so weniger, als ich mir die Situation ausmalte, die Verlorenheit im Niemandsland, irgendwo an der serbisch-kroatischen Front, aber wie sehr ihn seine eigene Wirkung interessierte, zeigte sich nicht zuletzt darin, daß er wissen wollte, bei welcher Zeitung Allmayer war. Für mich hatte es etwas ganz und gar Irreales, als er ihn dann auch noch fragte, ob er die Absicht habe, ein Photo von ihm zu machen, und wenn ja, solle er sich beeilen, weil es in der Gegend schnell dunkel würde. So, wie er ihn dirigierte, war es wahrscheinlich nicht das erste Mal, daß er mit Reportern zu tun hatte, und daher wunderte ich mich auch nicht, von ihm großspurig zu hören, wenn er nichts anderes sagte, sei selbstverständlich alles off the record.
    Das bedeutete, er hatte nicht

Weitere Kostenlose Bücher