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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Gehörten da schon klar geworden sein. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum er es später Wort für Wort transkribierte, mit Helenas Hilfe in die Form brachte, in der es jetzt vor mir liegt, in einer Kopie, samt den ausführlichen Anmerkungen in seiner Handschrift auf dem Rand der paar Seiten. So gut ich mich auch noch erinnere, bin ich doch froh um seine Unterstützung, weil es bei dem, was dann folgte, auf Genauigkeit ankommt und ich mir manchmal schon sage, es ist gar nicht möglich, daß ich das wirklich gehört habe, und mich vergewissern muß, die Blätter in die Hand nehme und darin herumlese, ein ums andere Mal erstaunt, mit welcher Zwangsläufigkeit im nachhinein alles abgeschnurrt zu sein scheint.
    Ich weiß noch, daß es nicht lange dauerte, als Paul das Band von neuem einschaltete, ein oder zwei Minuten vielleicht, in denen Allmayer mit Slavko vergeblich wieder ins Gespräch zu kommen versuchte, bis er die Frage stellte, nach der es kein Zurück mehr gab.
    »Wie ist es, jemanden umzubringen?«
    Die Antwort darauf war keine.
    »Warum glauben Sie, daß ich Ihnen das sagen kann?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte er ausweichend, weil er merkte, daß er zu forsch vorgegangen war. »Wahrscheinlich habe ich gedacht, das bringt die Sache einfach mit sich.«
    Es folgte wieder kein richtiges Lachen, eher ein gekünsteltes Stottern, das die Absurdität des Ganzen zum Ausdruck bringen sollte.
    »Sie halten mich für einen Mörder?«
    Er sagte nein.
    »Sind Sie sich sicher?«
    Darauf kam keine Entgegnung, und dann waren Geräusche zu hören, die ich nicht zuordnen konnte, und Slavko, der, abgewandt, einmal mehr kroatisch sprach. Es waren Sätze, die wie im Wind verflogen, und ich lauschte vergeblich, ob ich nicht vielleicht einzelne Teile zu erkennen vermochte, Wiederholungen, wie er sie liebte, oder gar Einsprengsel auf deutsch. Ich sah Helena an, doch sie zuckte nur mit den Schultern, verstand offenbar auch nichts, bis er sich wieder umdrehte und Allmayer direkt fragte.
    »Haben Sie schon einmal ein Gewehr in der Hand gehabt?«
    Das Schweigen danach war überdeutlich, und ich weiß nicht, wieviel Zeit verging, aber mir schien es später bei jeder Wiederholung nur noch länger zu dauern, ehe er von neuem einsetzte.
    »Wenn Sie wollen, können Sie meines nehmen«, sagte er, als würde er ihm damit einen Gefallen tun. »Sie müssen es mir nur zurückgeben, falls ich es brauche.«
    In seiner Stimme war wieder diese Sanftheit.
    »Stellen Sie sich doch nicht so an.«
    Er sprach noch weicher, zärtlich fast, verführerisch wie eine Frau, und im selben Augenblick schaltete sich einmal mehr der Dolmetscher ein.
    »Tun Sie endlich, was er von Ihnen verlangt«, sagte er und verhaspelte sich dabei vor Aufregung. »Sie sehen doch, daß er es ernst meint.«
    Das Band schien sich nur mehr mühsam weiterzubewegen, und ich stellte mir vor, wie Allmayer dastand und das Gewehr entgegennahm. Er sagte nichts, aber weil es still blieb, wußte ich, es konnte nur so sein, er schaffte nicht, es zurückzuweisen, und hielt es ohne Zweifel in den Händen. So viele Arten es auch geben mochte, das zu tun, ich war mir sicher, daß er es gleich richtig gemacht hatte, weil er sonst sofort korrigiert worden wäre, und sah ihn vor mir, überrumpelt und vor den Kopf gestoßen, seinen Blick leer in die Ferne gerichtet, als ginge ihn das alles nichts an.
    Wieder verstrichen lautlos ein paar Sekunden bis zu dem Befehl, mit dem Slavko sich plötzlich von neuem an den Gefangenen wandte, und Helenas Erklärung, die fast gleichzeitig kam.
    »Er will, daß er hinübergeht.«
    Ich verstand nicht gleich, was das bedeutete, aber als sie fortfuhr, er fordert ihn auf, sich auf den Weg zu den serbischen Linien zu machen, hatte ich das Bild vor mir, den Mann, der ohne Deckung über das kahle Maisfeld zwischen den feindlichen Stellungen tappte, das Allmayer in seinem Interview beschrieben hatte, und hörte ihre Stimme dazu wie einen überflüssigen Kommentar aus dem Off.
    »Er sagt, er soll einen Schritt vor den anderen setzen, die Hände über dem Kopf, und nicht einmal daran denken, zu laufen«, erklärte sie umständlich die Regeln. »Dabei läßt er keinen Zweifel, was ihm passiert, wenn er nicht kuscht.«
    Ich sah, daß sie Paul davon abhielt, das Band wieder zu stoppen, während sie Slavkos kurze Anweisungen simultan übersetzte, als wäre sie selbst in der Situation, den Gefangenen nach ihrem Gutdünken herumzukommandieren. So, wie sie dabei tat,

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