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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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würde. Natürlich tue ich ihm unrecht, aber wenn ich daran denke, welchen Aufwand er später getrieben hat, einen glaubwürdigen Zusammenhang zwischen dem Interview und Allmayers Ermordung im Kosovo herzustellen, in was für absurde Theorien er sich dabei verrannte, die in der Annahme gipfelten, es sollte damit ein möglicher Belastungszeuge ausgeschaltet werden, frage ich mich nicht mehr, ob er wirklich daran glaubte oder nur seiner Konstruktion zu viel zumutete, weil es einfach zu weit von jeder Realität entfernt ist.
    Ich weiß noch, wie erleichtert ich war, als er zum Zug mußte und ich ihn zum Bahnsteig brachte und mich dort von ihm verabschiedete. Er ließ sich mit dem Einsteigen Zeit, und ich erinnere mich, daß weder er noch ich etwas sagte und es ein paar unangenehm lange Augenblicke dauerte, in denen wir aneinander vorbeisahen. Wie absurd unsere Beziehung doch war, wie zufällig, dachte ich, und ich fragte mich plötzlich, was ich überhaupt da tat, es ist nur ein Augenblick gewesen, aber während er schweigend neben mir stand, erschrak ich über die Widerstandslosigkeit, mit der ich mich in diese Geschichte hineinziehen lassen hatte. Es war der gleiche Blick auf mich selbst, glaube ich, der gleiche Blick auch auf ihn, mit dem ich manchmal in Bildbänden auf Photos aus der Zeit vor zwanzig oder dreißig Jahren gestarrt hatte, vielleicht auf eine Gruppe in einem Straßencafé oder Leute, die auf einen Bus warteten, in der Abenddämmerung, und meine Reaktion war nackte Verwunderung gewesen, eine regelrechte Bestürzung, daß es das alles einmal gegeben hatte, noch über die alltäglichsten Situationen, ein Erschrecken beim Gedanken, mir nicht und nicht vorstellen zu können, was ich wohl währenddessen getan haben mochte.
    Ich mußte am Nachmittag in der Redaktion sein und ging vom Bahnhof noch nach Hause, geradezu getrieben, das Wichtigste von diesem Treffen mit ihm sofort aufzuschreiben. Natürlich wäre es in seinen Augen ein Verrat gewesen, wenn er davon gewußt hätte, aber genau das stachelte mich an, und ich ahnte, daß ich achtgeben mußte, sein Bild nicht zu unvorteilhaft zu zeichnen. Bei der Erinnerung daran, wie er gesagt hatte, er werde nun endgültig mit der Zeitungsarbeit aufhören und sich in den nächsten beiden Jahren ganz dieser Sache widmen, ärgerte ich mich immer noch über die Formulierung, und das um so mehr, als er auf meine Frage, wovon er denn leben wolle, vage von einer Hinterlassenschaft gesprochen hatte und dabei, absichtlich oder nicht, mir gegenüber zum ersten Mal in einen übertriebenen, unangenehmen österreichischen Akzent verfallen war.
    Allmayers Tod schien indessen für die Zeitungen kaum mehr ein Thema zu sein. Nach der ersten Aufregung hatte es zunächst Mutmaßungen gegeben, wer dafür verantwortlich war, Regierungstruppen, die sich noch im Gebiet aufgehalten hatten, oder Aufständische, vielleicht sogar Wegelagerer, wie es bar jeder Wahrscheinlichkeit hieß, die, auf leichte Beute aus, ihn und seinen Photographen in ihrem Auto, unter dem Vorwand, ihnen ein Massengrab zeigen zu wollen, angehalten hatten. Es war von Scharfschützen die Rede, aber im selben Augenblick auch schon davon, daß dafür dann doch zu viele Schüsse gefallen waren, und selbst die Frage, ob sich der Anschlag gezielt gegen sie gerichtet hatte, wie seit dem Beginn des Krieges in Kroatien immer wieder gegen Journalisten, blieb offen.
    Auch die belgische Krankenschwester, die in den letzten Stunden an Allmayers Seite gewesen war, hatte wenig zu sagen. Es ergab kaum mehr als das in einer solchen Situation zu Erwartende, wenn sie seine Tapferkeit lobte und unaufhörlich betonte, er habe keinen Laut von sich gegeben. Der Rest war Hilflosigkeit, ihre zweifelsohne falschen Beteuerungen, er hätte keine Schmerzen gehabt, der Photograph, der noch immer unansprechbar war oder sich weigerte, mit der Presse zu sprechen, und die Anklage gegen Unbekannt, eine Anklage auf Mord.
    Unter allem, was ich seit dem Unglück in die Hände bekommen hatte, erschien mir nur der Bericht eines Schriftstellers, der auch am ersten Tag der Invasion ins Kosovo gekommen war, als völlig deplaziert. Nicht allein daß ihm als erstes einfiel, es hätte auch ihn selbst erwischen können, und er eine dramatische Schilderung davon lieferte, wie ein serbischer Kontrollposten vor ihm sein Gewehr entsichert hatte, nein, was mich störte, war mehr noch seine Folgerung, das Gerede von einem schwer zu erklärenden Gefühl der

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