Das Handwerk des Toetens
allein schon deshalb nie das Paradies hatte sein können, weil es nicht allein gelassen, von allem Anfang an dem Blick Gottes unterworfen war.
Ich merkte natürlich, wie sehr er sich darin gefiel, noch die größten Verstiegenheiten vor mir auszuprobieren. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, als würde er an die Pose allen Ernstes glauben, hatte er sich auf dem Stuhl zurückgelehnt und wartete darauf, daß ich in Bewunderung ausbrach oder ihn wenigstens bat, mit seinem Geschwafel aufzuhören. Er hatte leise gesprochen und sah mich an, und um seinen Blicken auszuweichen, nahm ich den Stapel mit Allmayers Artikeln zur Hand und begann, ihn wieder durchzublättern, bis ich auf das Interview stieß und mir das Photo noch einmal ansah, mit dem es illustriert war.
Es zeigte einen breitbeinig dastehenden Mann vor einer mit Granatspuren übersäten Hauswand, der nachlässig ein Gewehr unter die Achsel klemmte. Das Perfide daran war, daß man sein Gesicht nicht sah, den Ausdruck gerade noch zu ahnen vermochte, weil es sich hinter dem aufsteigenden Rauch einer Zigarette verbarg. Seine Körperhaltung war entspannt, der Kopf mit der aufgerollten Schimütze leicht zur Seite geneigt, daß man gar nicht anders konnte, als sich den Blick dazu spöttisch vorzustellen. Außer vielleicht seinen Halbfingerhandschuhen, trug er keines von den Accessoires, die dieser Krieg bei seinesgleichen fast obligatorisch gemacht hatte, weder Turnschuhe noch einen Trainingsanzug oder gar die ins Haar geschobene Sonnenbrille oder sonst etwas Extravagantes, im Gegenteil, er wirkte mit der unförmigen Lederjacke und den ausgebeulten Hosen, die in seinen Stiefeln steckten, eher wie eine Erinnerung daran, daß das Handwerk des Tötens ein jahrtausendealtes Geschäft war.
Das Bild hatte etwas Unumstößliches, um so mehr, als darunter in Anführungszeichen, aber deshalb nicht weniger bedrohlich Bog i Hrvati stand, Gott und die Kroaten, wie aus dem Text daneben ersichtlich war, Slavko , Ostslawonien, Dezember 1991 , und ich versuchte mir gerade auszumalen, wie Allmayer mit dem Unbekannten gesprochen hatte, als Paul sich wieder an mich wandte.
»Das muß eine Begegnung gewesen sein«, sagte er, und seine Stimme klang plötzlich rauh. »Man braucht nur das ganze Drumherum zu bedenken.«
Obwohl ich die Beschreibung am Vortag natürlich auch überflogen hatte, wußte ich erst, worauf er anspielte, als er von den Gefangenen sprach, die nach dem Interview ausgetauscht werden sollten, und sich darüber wunderte.
»Soweit ich mich erinnern kann, ist bis dahin von ihnen keine Rede gewesen, und es bleibt offen, woher sie auf einmal gekommen sind.«
Angeblich mußten die dafür ausersehenen Männer mit erhobenen Armen nebeneinander über das Maisfeld gehen, bis sie bei ihren eigenen Leuten in Sicherheit waren, aber er schien nicht recht daran zu glauben.
»Entweder es ist schlecht erzählt, oder es stimmt etwas nicht«, sagte er, als spielte das keine Rolle. »Zuletzt läuft es doch auf dasselbe hinaus.«
Auf jeden Fall bezogen sich nur wenige Sätze in Allmayers Artikel darauf, und der Schluß kam abrupt, wenn er behauptete, er habe am Ende nichts mehr gesehen und nur aus der Ferne noch drei klar voneinander abgesetzte Schüsse gehört, allzu offen im Ausgang, aber daraus gleich einen Verdacht zu kreieren, schien mir auch Willkür zu sein.
»Ich weiß nicht, was das bringen soll.«
Es war still, und ich hörte Paul nicht lachen, als ich das sagte, aber ich merkte, daß er sich zurückhalten mußte, spöttisch interessiert, wie er mich auf einmal ansah.
»Vielleicht läßt sich darauf aufbauen«, erwiderte er ohne viel Überzeugung. »Das ist doch ein Anfang, wie er besser nicht sein könnte.«
Allem Anschein nach sprach er schon wieder von seinem Roman, und ich ließ ihn reden, ohne ihm ins Wort zu fallen, obwohl ich noch weiß, wie unverständlich mir seine Beharrlichkeit war, sein Zwang, in den unmöglichsten Augenblicken wieder und wieder darauf zurückzukommen. Offenbar genügte ihm die Ungeheuerlichkeit dessen, was er gelesen hatte, nicht, er mußte etwas daraus machen und erreichte damit natürlich nur das Gegenteil, konnte es nicht einfach stehen lassen, wie es war, ja, er hätte es am liebsten ausgeschmückt, sage ich mir, vielleicht sogar eine Frau dazuerfunden, die sich in die Wirren des Krieges verirrt hatte, am besten eine Amerikanerin, die allein durch ihre Existenz einen tristen Balkanreport in eine aufregende Geschichte verwandeln
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