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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Authentizität, das daraus entsprang, die Gefahr gewählt zu haben. Es war der Gemeinplatz, sich in seinem Beruf unentwegt existentiellen Herausforderungen stellen zu müssen, wie er schrieb, zusammen mit dem Gestus, der Selbstherrlichkeit, in der er den Krieg zum Experimentierfeld für seine Erfahrungen machte, und ich wurde den Eindruck nicht los, es ging ihm nur um seine Person, um eine möglichst glorreiche Rechtfertigung dafür, nicht zu Hause zu sein, nicht am Schreibtisch, dem Ort, der für ihn vielleicht viel gefährlicher war, als er sich eingestand. Sein Männlichkeitsgetue war mir unangenehm, um so mehr, als es ganz und gar kalkuliert wirkte, konnte er sich doch jederzeit wieder zurückziehen, und seine Behauptung, daß nur so große Literatur entstehe, hatte etwas allzu Plakatives, die Annahme, wo der Tod war, sollte das pralle Leben auch nicht fern sein, erinnerte mich an das Sexualgeprotze, in das Autoren seines Alters manchmal verfielen, wenn sie ausgebrannt waren, und schien zuletzt ununterscheidbar davon zu sein. Entsprechend war auch das beigegebene Photo, das ihn als Mann Ende vierzig, Anfang fünfzig zeigte, unrasiert, wie es sich gehörte, und obwohl ich ihn mir lieber mit nacktem Oberkörper und zwei sich über der Brust kreuzenden Patronengürteln vorgestellt hätte, trug er eines dieser ärmellosen Jäckchen, für die es einen eigenen Namen und einen eigenen Ausstatter geben mußte, wie gemacht für den eleganten Herrn in der Krise, mit einer Vielzahl von Taschen, in denen sich Platz sowohl für sein Schreibwerkzeug als auch im schlimmsten Fall für ein paar Handgranaten fand. Ob ich wollte oder nicht, in meinen Augen machte ihn das zu einer lächerlichen Figur, und zugute halten konnte ich ihm nur, daß er nicht der einzige seines Gewerbes war, hatte es von seinen Kollegen doch all die Jahre schon ganz andere Eskapaden gegeben, angefangen mit den selbsternannten Verteidigern des wahren Slawentums, denen nichts orthodox genug sein konnte, solange sie nicht selbst danach leben mußten, bis hin zu der aufgetakelten New Yorker Zicke, die als Weltberühmtheit nach Sarajevo gekommen war und vor laufenden Kameras ein Durchschußloch in ihrem knöchellangen Pelzmantel vorgeführt hatte, als wäre es eine Trophäe.
    Es waren krause Gedanken, die mich an dem Tag nicht mehr losließen, und ich weiß noch, daß ich dann bei der Arbeit abgelenkt war, nicht ans Telephon ging und auf der Straße vor meinem Fenster den wenigen Passanten zuschaute, wie sie am Anfang der kurzen Wegstrecke, die ich einsehen konnte, auftauchten und an ihrem Ende wieder verschwanden. Mochte es noch so sentimental sein, ihre Verletzlichkeit beunruhigte mich, ein dicker Mann, wie er, sein Sakko über die Schulter geworfen, dahertappte, eine junge Frau auf Rollschuhen, ihre eckigen Bewegungen, eine Gruppe von Schülern, deren Geschrei ich hörte, es konnte jeden von ihnen jederzeit treffen, dachte ich, und ich erinnere mich noch, wie verwegen mir ihre Selbstvergessenheit auf einmal erschienen war, ein Augenblick reichte, und sie existierten nicht mehr. Ich hätte mehrere Artikel redigieren sollen, aber unruhig, wie ich war, kehrte ich immer wieder an meinen Aussichtsplatz zurück und konnte mich von dem Anblick nicht losreißen, schaute in das Blättergewirr des Baumes davor, den zerstückelten Himmel darin und dann wieder hinunter zu dem Eck, wo gleich jemand daherkommen und schnurstracks den Gehsteig entlanggehen müßte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß er beobachtet wurde, oder sich gar zu überlegen, ob er nicht besser seine Schritte beschleunigte oder so schnell wie möglich von einem Torbogen zum anderen huschte.
    Als ich nach Hause wollte, war es fast sieben, und auf dem Gang traf ich eine Kollegin vom Lokalteil, und ohne daß ich mir das vorher überlegt hätte, fragte ich sie, ob sie mit mir essen gehen würde, und sie sagte ja. Es war nicht das erste Mal, daß wir zusammen aus waren, auch wenn von einer Gelegenheit zur anderen die Abstände immer größer wurden, entweder war ich es oder sie, einer von uns schien immer zurückzuschrecken, und herausgekommen war über die Monate weniger eine Art uneingelöstes Versprechen als eine offene Rechnung. Wie wenn ich eine Verpflichtung hätte und ihr den Hof machen und mich dafür vor den Kopf stoßen lassen müßte, weil etwas anderes gar nicht denkbar wäre, hatte ich angefangen, ihr aus dem Weg zu gehen, aber sie stand mir darin nicht nach, ich war ihr

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