Das Handwerk des Toetens
wochenlang nicht mehr begegnet und überrascht, daß sie jetzt keine Ausflüchte suchte und sich sogar freute, mich zu sehen.
Ich weiß nicht mehr, wer von uns mit dem läppischen Spiel angefangen hat, unsere Treffen, noch während sie im Gang waren, zu kommentieren, als wären wir Figuren in einem von uns selbst entworfenen Stück, sie zurückhaltend, während ich wohl der Draufgänger hätte sein sollen, der ich nicht war. Es erscheint mir unverständlich, wie wir uns daran erheitern haben können, manchmal eine ganze Weile lang jeden Satz mit einem schließlich nur mehr ermüdenden sagte sie oder sagte er zu ergänzen, als wären nicht wir es, die sprachen, oder wir würden nur stellvertretend für andere sprechen und setzten uns so keinem Risiko aus, und als sie vorschlug, damit aufzuhören, war es vielleicht schon zu spät. Denn gerade da hatte ich ihr das zweifelhafte Kompliment gemacht, daß sie in einer Liebesgeschichte wahrscheinlich keinen Namen hätte, ich erinnere mich noch genau, wie geistreich ich mir vorgekommen war, obwohl sie augenscheinlich genug von meinen Verdrehtheiten hatte, wissen wollte, wie ich das meinte, schrill anfing zu lachen und mich krank nannte, als ich, statt ihr zu antworten, fragte, was sie sich denn vorstellen könnte, welchen Namen, wenn sie unbedingt einen Namen haben mußte.
Vielleicht sollte ich daher ohne Umschweife sagen, daß sie Marlene hieß und ich mir dieses Mal die größte Mühe gab, nicht wieder dieselben Fehler zu begehen, besonders weil ich dachte, es war ein schöner Abend, bis ich auf Allmayers Ende zu sprechen kam und ihre Reaktion darauf befremdlich fand.
»Das ist zum Verrücktwerden«, plapperte sie unkonzentriert vor sich hin. »Ein so junges Leben, und auf einmal soll es einfach vorbei sein.«
Es war grotesk, ihre Stimme nur mehr ein Flüstern, und ich schaute ihr regungslos zu, wie sie meine Hand nahm, als müßte ich getröstet werden. Ob es an der Art lag, in der ich darüber geredet hatte, oder nicht, sie war für ihre vor Mitgefühl manchmal geradezu triefenden Artikel weithin bekannt, und ich hätte ahnen sollen, worauf ich mich einließ, wußte aber nichts Besseres, als sie stumm anzustarren, in der Hoffnung, daß ihr mein Entsetzen entging. Mir fiel nichts mehr ein, was ich hätte erwidern können, und erst als ich daran dachte, daß sie in einer Serie über Flüchtlinge in Hamburg schon Jahre zuvor einmal für das Magazin der Zeitung über ein Mädchen aus Bosnien geschrieben hatte, eine Fünfzehnjährige, wenn ich mich richtig erinnerte, aus Travnik, zögerte ich nicht und sprach sie darauf an.
Zuerst schien es, als würde sie sich nicht dazu äußern wollen, aber dann tat sie ganz aufgeregt und malte mir ein Bild von ihr, bei dem sie sich am Anfang nicht zu entscheiden vermochte, ob es schwarzweiß oder in Farbe sein sollte.
»Sie war noch ein Kind und schon auf der Straße.«
Ich konnte nur ahnen, was sie meinte, als sie fortfuhr, das stellte für viele Männer eine furchtbare Mischung dar, ihre Unschuld und gleichzeitig der Anschein, sie sei von einem Krieg in den anderen geraten, und war leichtsinnig genug, über ihre Wirkung zu spekulieren.
»Sie müssen sich um sie gerissen haben.«
Das quittierte sie abfällig.
»Ich fürchte, sie haben ganz andere Dinge mit ihr getan.«
Dann zögerte sie, als wäre sie sich nicht mehr im klaren, ob ich nicht auch einer von ihnen hätte sein können, suchte eine Weile unschlüssig meinen Blick und sah zu guter Letzt an mir vorbei.
»Angeblich hat es sogar welche gegeben, die zurückgeschreckt sind und wie ertappt zehn oder zwanzig Mark hervorgekramt haben, nur um sich sofort um die nächste Ecke verziehen zu können, wenn sie ihre Herkunft erwähnt hat«, sagte sie. »Die meisten scheinen aber genau deshalb von Mal zu Mal bei ihr hängen geblieben zu sein und nicht genug davon gekriegt zu haben.«
Es war eine Geschichte, die jede ausgefuchste Dirne auch hätte hervorzaubern können, rührselig bis zum Erbrechen, nur hatte sie bei ihr den Schönheitsfehler, daß sie stimmte. Ihr Vater war tatsächlich tot, ihr Bruder im Krieg vermißt und sie über Umwege mit ihrer Mutter nach Hamburg verschlagen, zuerst auf ein Wohncontainerschiff am Rand des Hafens und später in eine Einzimmersouterrainwohnung irgendwo auf der anderen Seite der Elbe. Dazu kamen der Schulabbruch, eine angefangene Lehre, ein paar wahllos angetretene und schnell wieder aufgegebene Stellen als Aushilfskraft in irgendwelchen
Weitere Kostenlose Bücher