Das Handwerk des Toetens
und mich wie den größten Hochstapler über das Wasser spazieren lassen. Zumindest war es das, was ich, zu Hause angelangt, mit ihr in Verbindung brachte und aufschrieb, ein ziemlicher Unsinn, wenn ich darüber nachdachte, aber ich steigerte mich hinein, daß es etwas Poetisches hatte, und ließ es deswegen genauso stehen, wie es mir eingefallen war.
Es erinnerte mich in seiner Absurdität an die Worte, die ich mit Paul über Helena gewechselt hatte, als sein Zug schon abfahrbereit gewesen war und er für ein paar Augenblicke noch die Tür blockierte. Ich hatte ihn auf sie angesprochen, und auf einmal wurde mir wieder bewußt, daß sein Blick auf mich ein anderer geworden war und daß er mich lauernd angesehen hatte, geradeso, als wollte er mich herausfordern. Lachend war er dagestanden, hatte theatralisch die Hände gehoben, während er ihren Namen wiederholte, und Anstalten gemacht, zurück auf den Bahnsteig zu treten, um dann doch an seinem Platz zu bleiben und mich von dort nicht aus den Augen zu lassen.
Ich war überrumpelt, als er sich erkundigte, ob sie mir gefiel, und beeilte mich, die Frage möglichst schnell ins Harmlose zu ziehen.
»Warum willst du das wissen?«
Dann verneinte ich es auch schon, und als er wartete und auf die Uhr schaute, wieviel Zeit noch war, korrigierte ich mich und sagte ja.
»Was ist dir lieber?«
Er hatte wieder beide Arme über seinem Kopf und ließ ein paar zähe Sekunden verstreichen, bevor er mit einer Antwort herausrückte.
»Für mich spielt es keine Rolle«, sagte er dann. »Als Ausgangspunkt kann ich das eine genauso gut wie das andere nehmen.«
Das war blanker Unsinn, und manchmal meine ich, daß das Schicksal, das er Helena in seinem Roman zuschreiben wollte, da schon klar war. Sie mußte sterben, und auch wenn es verstiegen sein mag, zu behaupten, es lag an mir, sie am Leben zu halten, nahm ich mir vor, seiner Version der Geschichte doch etwas anderes entgegenzusetzen. Zu welchem Ende auch immer das führte, ich weiß, ein Anfang wäre, noch einmal von meiner ersten Begegnung mit ihr zu erzählen und ihn dabei auszuklammern oder so weit zurückzudrängen, daß ich mir ausmalen könnte, wie sie mich angesehen hat, egal ob dabei der größte Kitsch herauskam oder nicht, sagen, es lag etwas in ihrem Blick, das mich in mir fixierte, oder überhaupt eine ganz andere Sprache dafür finden, Worte, die noch niemand gebraucht hat, und sie mit der Selbstverständlichkeit eines Eroberers verwenden, ohne Angst vor ihrem Glanz zu haben.
Zweites Kapitel
STORIES & SHOTS
Wenn ich mich richtig erinnere, waren es nach seiner Rückkehr von Allmayers Begräbnis vier oder fünf Wochen, die sich Paul in der Stadt aufhielt, bevor er seinen Unfall hatte, eine Zeit, die mir im nachhinein als viel kürzer erscheint, wie ein Auftakt zu den Monaten seiner Rekonvaleszenz, von denen ich mir gern einreden würde, ich hätte sie mit Helena verbracht, obwohl ich sie in Wahrheit kaum mehr als ein halbes Dutzend Mal getroffen habe, wäre an seine Stelle getreten bei ihr, während er zusammengeflickt wurde und langsam wieder gehen und sprechen lernen mußte. Natürlich könnte ich auf den Kalender schauen, aber es spielt keine Rolle, es kommt mir nur so unglaublich vor, daß es ausgerechnet am Tag der Sonnenfinsternis passiert war, und zu allem Überfluß auch noch in einer Gegend, wo die Voraussetzungen, sie zu beobachten, am besten gewesen sein müssen, irgendwo im tiefsten Österreich, ein Sekundenschlaf auf der Autobahn, wie sie später sagte, in einem ihrer wiederholten Versuche, mir davon zu erzählen, und sein Leben war, in ihren Worten, nur mehr an einem Faden gehangen. Bei ihm selbst kam der reinste Sarkasmus zum Ausdruck, wenn er lachend von seiner ersten jugoslawischen Reise sprach, als er kurz vor Weihnachten wieder auftauchte, ganz offensichtlich nicht mehr der Alte, von einem Sprachfehler geplagt und seine Bewegungen unsicher, die eines im Halbdunkeln herumtappenden Kindes, wie mir schien, ein Gezeichneter, der in einem fort wiederholte, daß sie nur froh sein konnte, nicht dabei gewesen zu sein.
Obwohl er morgens nicht mehr in das Café in Ottensen kam, sah ich Paul in den paar Sommerwochen vor dem Unglück alle paar Tage, aber von Helena sind mir in meiner Erinnerung kaum Bilder geblieben. Das einzige, was ich noch mit Sicherheit weiß, ist, daß er mich einmal dazu überredet hat, mit ihm schwimmen zu gehen, in einem Badeteich im Norden der Stadt, und daß sie dabei war und ich
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