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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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als er erzählte, daß er nicht weit von Lilly und Allmayer gewohnt hatte, ganz am Waldrand in Hötting, mit einem Blick über die Stadt, und nach seiner Arbeit manchmal fast Abend für Abend zu ihnen gegangen war.
    »Es ist die beste Zeit meines Lebens gewesen«, sagte er, und ich wußte nicht, wohin schauen, als er mich ansah. »Ich war so voller Zutrauen in alles, daß ich mir jetzt oft die Frage stelle, was seither passiert ist.«
    Darauf antwortete ich natürlich nicht, und was er danach von sich gab, war voller Sehnsucht, seine Beschreibung davon, wie er gewöhnlich bei Einbruch der Dunkelheit noch eine Zeitlang vor ihrer Veranda stehen geblieben war und ihnen durchs Fenster zugeschaut hatte, während sie Vorbereitungen für seinen Besuch trafen, ein Glas in der Hand vor dem Herd standen oder zwischen Küche und Wohnzimmer hin- und hergingen und den Tisch deckten. Es wirkte befremdend auf mich, ihn aussprechen zu hören, daß es ihm manchmal fast genügte hätte, draußen zu sein und zusehen zu dürfen, wie sie miteinander umgingen, als wäre ihm all das von vornherein verwehrt, ein bißchen kokett auch, wie er seine damalige Rolle stilisierte, wenn er behauptete, er sei immer wie aus der Kälte gekommen, sobald er eintrat, habe sich erst aufwärmen müssen, ihre Augen registrieren, das Wohlwollen, das sie ausstrahlten, und etwas trinken, bevor er fähig war, mit ihnen zu reden, nach einem Tag, den er an seiner Schreibmaschine verbracht hatte. Zwischen den Bäumen funkelten die Lichter der Stadt, malte er mir aus, und wenn sie gegessen hatten, setzten sie sich ins Freie, und ich konnte sie vor mir sehen, ihre Schemen eng nebeneinander im Halblicht, und wurde erst stutzig, als er auf meine Frage, worüber sie die ganze Zeit gesprochen hatten, verstummte, wenig mehr hervorbrachte als ein Achselzucken und sich schließlich darauf hinausredete, daß jede Antwort zu prosaisch wäre, kaum etwas einfangen würde von dem Glanz, der noch die banalsten Dinge umgab.
    Bei aller Verschwommenheit hatte sein Schwärmen plötzlich etwas Penetrantes, und ich fragte mich schon, worauf er hinauswollte, als er sich selbst unterbrach und sagte, ich würde sicher gern etwas anderes über Allmayer hören, gleichzeitig aber Zweifel hatte, ob er mir das bieten konnte.
    »Es gibt nichts, aus dem damals ersichtlich gewesen wäre, was später aus ihm werden sollte«, versicherte er mir. »Das macht es natürlich ganz besonders leicht, ihm etwas anzudichten.«
    Dann meinte er, ich könnte es mir aussuchen, könnte mich festbeißen an irgendwelchen Details, etwa daran, daß er ein Motorrad gehabt hatte, ein schweres Gerät, und daß er damit manchmal nur für einen Kaffee über den Brenner gefahren war, die Windungen der alten Bundesstraße hinauf, könnte mich darauf versteifen, daß er sich in seiner Lektüre immer auf das Schwierigste gestürzt hatte, als wäre etwas anderes unter seiner Würde, das Vertrackteste, Unlesbarste, Die Ästhetik des Widerstands in diesen Wochen, oder einen Punkt daraus machen, daß ihm in der Stadt die Mädchen reihenweise nachgelaufen waren, aber es hätte keine Bedeutung, wäre nur ein Sammelsurium von harmlosen, kleinen Anekdoten.
    »Was auch immer man sich sonst noch einfallen läßt, es paßt einfach nicht dazu, daß er später im Kosovo erschossen werden würde.«
    Ich dachte zuerst, das war nur ein Spruch, aber dann sah ich, wie er mit geschlossenen Augen dasaß und den Kopf schüttelte. Er hatte sich seine Jacke übergezogen und wirkte auf einmal viel schmächtiger auf mich, als er in Wirklichkeit war. Während er aus seiner Umhängetasche eine Sonnenbrille hervorzog, sie aufsetzte und sofort wieder abnahm, verfiel er in ein Schweigen, als wäre ich nicht da, und schaute leer zwischen den Passanten hindurch, die unmittelbar vor unserem Tisch vorbeigingen.
    »Es ist die Sinnlosigkeit, die ich nicht begreifen will«, fuhr er schließlich fort. »Manchmal kommt es mir so vor, als würde sich ein Leben erst durch den Tod vom anderen unterscheiden.«
    Damit war er wieder bei Allmayer, dessen Begräbnis ein paar Tage zuvor, und aus seiner Stimme schien alle Wärme gewichen zu sein, als er sagte, im Grunde genommen sei nur eingetreten, was er befürchtet hatte, weil Lilly sich schon einmal beim Tod einer Schriftstellerkollegin als geradezu himmelschreiend peinliche Nekrologin erwiesen hatte. Obwohl sie ihr nie etwas habe abgewinnen können, soll sie am Ende keinen Augenblick von ihrem Krankenbett gewichen

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