Das Handwerk des Toetens
sein, ereiferte er sich, eine einzige Anmaßung, wie sie sich an sie gehängt hatte, als wäre sie ihr immer schon nahe gestanden. Tatsächlich habe sie regelrecht auf ihren letzten Atemzug gewartet, und für ihn war das um so makaberer, als sich die Sterbende jeden Besuch von ihr verbeten hatte, solange sie noch stark genug gewesen war, und erst in den letzten Tagen nichts mehr gegen sie und die eigens aus Wien angereisten Jammergestalten in ihrem Gefolge habe ausrichten können, die sich in dem Bozener Krankenhaus die Klinke in die Hand gegeben hätten, schamlose Figuren, wie er es formulierte, die Klageweibern gleich in Position gingen und dann ihre schändlichen Vierzeiler auf den Tod einer plötzlich entdeckten Herzensfreundin drechselten, die sie zeit ihres Lebens nur durch den Dreck gezogen hatten.
Davon sprach er so angewidert, daß er jedes Wort geradezu ausspuckte, und als ich seinen Blick sah, war mir klar, es gab für ihn kein Halten mehr.
»Wenn sie auch sonst nichts zustande bringt, für einen schwülstigen Nachruf und die Zurschaustellung ihrer Trauer reicht es allemal«, überbot er sich selbst. »Daß sie dabei im wahrsten Sinn des Wortes über Leichen geht, stört sie nicht im geringsten.«
Er senkte seine Stimme und war kaum mehr zu hören, als er ausführte, es sei dieses Mal nicht anders gewesen, und auch wenn mir noch immer nicht ganz klar ist, warum er so über sie herzog, erinnere ich mich an den Ausdruck, den er mehrmals wiederholte, weiß ich noch, wie er sagte, daß sie es dabei nicht habe lassen können, ganz gegen ihre sonstigen Gepflogenheiten ihre italianità hervorzukehren. Obwohl ich ihn nie danach gefragt habe, ahne ich, was er damit meinte, wenn ich an seine Beschreibung denke, wie sie in der Kirche vorgetreten sein soll, um ihre Rede zu halten, den Kopf zurückgeworfen hat, daß ihr Haar ein paar Augenblicke nachschwang und noch vor dem ersten Wort allen klar sein mußte, sie kam aus der Stadt und hatte mit ihnen nichts mehr zu schaffen, war nur für den Anlaß so gnädig, sich ihrer Gegenwart überhaupt noch auszusetzen. Ich kann nicht beurteilen, ob es stimmte, aber er versicherte mir, es sei längst ein abgegriffener literarischer Topos, der Weggang einer Heldin aus ihrem Heimatdorf und ihre wahlweise ach so triumphale oder reumütige Rückkehr, und sie habe sich verhalten wie eine Figur in einem miserablen Roman, mit allen Klischees, die man sich vorstellen konnte, allen Schwarzweißmalereien, allen zugehörigen Lächerlichkeiten und Hybriditäten, die jeden Schmerz überdeckten.
Dazu passend müssen auch ihre Worte gewesen sein, wenn es zutraf, was er behauptete, und sie vor der versammelten Trauergesellschaft tatsächlich weniger über Allmayer als über sich selbst gesprochen hatte.
»Als gäbe es zu seinem Abschied nichts Wichtigeres zu sagen, hat sie hauptsächlich davon erzählt, daß er sie immer zum Schreiben angehalten hat«, mokierte er sich jedenfalls. »Dabei soll es in Wirklichkeit ganz anders gewesen sein und sie ihn von seinen eigenen Ambitionen abgebracht haben.«
Es war kaum zu glauben, aber er sagte, daß man sich das am Grab erzählt hatte, und ob es übertrieben war oder nicht, für mich machte es die Ungeheuerlichkeit ihres Auftritts nur um so sichtbarer.
»Ich kann mir ausmalen, was das bedeutet«, erwiderte ich. »Es sollte mich nicht wundern, wenn sie selbst etwas über das Unglück fabrizieren würde.«
Darüber ging er hinweg, als hätte ich mir mit meiner Bemerkung etwas angemaßt, was mir nicht zustand, und fing dann an, von Allmayers Witwe zu erzählen, die unbewegt die ganze Zeremonie über sich ergehen lassen habe. Ich hatte die Szene vor Augen, konnte mir vorstellen, wie er sie immer denselben Satz wiederholen gehört hatte, man könne nichts machen, wenn jemand zu ihr getreten war, und er hätte gar nicht hervorkehren müssen, sie war eher überrascht als sonst etwas, ich hatte nichts anderes erwartet, geradeso, als wollte sie es nicht glauben und hoffte darauf, daß man ihr endlich widersprach. Auf ihn hatte sie gewirkt, als stehe sie unter Beruhigungsmitteln, sagte er, und ich sah sie vor mir, eine junge Frau, fast durchsichtig blaß, viel zu schlank und zu groß, ihre aufrechte Haltung, eine Ausnahme unter den gedrückten Gestalten, die in ihren besten Kleidern nur um so verletzlicher erschienen, voller Aberglauben auf einmal, wie ihre Vorfahren, und demselben dunklen Schicksal ausgeliefert. Zumindest dachte ich das, während er immer
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