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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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die größte Mühe gehabt habe, mein Hingerissensein zu verbergen, wenn sie weit hinauskraulte und dann triefend naß aus dem Wasser stieg, ihn anspritzte und ihr Lachen geradezu schmerzhaft hell klang, während ich gegen die flach stehende Sonne nur ihre Silhouette sah. Ich habe sie nie danach gefragt, und ihn schon gar nicht, aber es kann ihr nicht entgangen sein, wieviel von meiner scheinbaren Gelassenheit gespielt war, und vielleicht lag es daran, daß ich immer darauf gewartet habe, er würde noch einmal auf unser Gespräch am Bahnsteig zurückkommen, könnte mich vor ihr darauf ansprechen, und ich müßte Rede und Antwort stehen und irgendeine Dummheit von mir geben, bis ich mich am Ende verhaspelte oder kein Wort mehr hervorbrachte.
    Tatsächlich aber beschäftigte er sich damit gar nicht, wie ich bald merkte, hatte er auf dem Begräbnis doch nicht nur seine Frau wiedergetroffen, sondern auch Allmayers ehemalige Freundin, die er selbst von früher kannte, eine Schriftstellerin mit eineinhalb Büchern, die als Sekretärin einer Autorenvereinigung in Wien gestrandet war und dort ihr Unwesen trieb, eine gebürtige Südtirolerin, die damit hausieren ging, daß sie sich als Deutschsprachige in Italien mit Fug und Recht einer Minderheit zugehörig fühlen dürfe. Obwohl er sie vorher nie erwähnt hatte, kam er auf einmal nicht mehr von ihr los, als er wieder zurück war. Allein wie er ihren Namen aussprach, sagte schon alles, die Schrillheit, mit der er sie Lilly nannte, und was er ihr vorwarf, war nichts weniger, als daß sie aus dem traurigen Anlaß ein Spektakel gemacht hatte, es zum Vorwand genommen, ihre Eitelkeit zur Schau zu tragen und sich ohne Skrupel ins Zentrum zu rücken.
    Ich habe es nie überprüft, aber wenn nur ein Teil von dem stimmte, was er daherbrachte, erschien es mir im höchsten Maß unappetitlich, wenn etwas dran war, daß sie Allmayers Witwe vom offenen Grab verdrängt hatte, um mit der Grandezza eines Bauerntrampels, der die Dame von Welt mimt, an ihre Stelle zu treten und, die Augen hinter einer riesengroßen, schwarzen Sonnenbrille verborgen, schluchzend und schniefend die Beileidsbekundungen entgegenzunehmen, als wäre ihre Zeit mit dem Toten nicht geschlagene zehn Jahre her.
    »Es ist so dreist gewesen, daß niemand sich dagegen gewehrt hat«, sagte er. »Zumindest dürfte es keiner gewagt haben, es auf einen Fauxpas anzulegen oder sie auch nur zur Rede zu stellen.«
    Wir saßen draußen, in einem Lokal in Eppendorf, es wurde Abend, das letzte Sonnenlicht fiel auf die vollbelegten Tische, und er schien seine Aufgebrachtheit von einem Augenblick auf den anderen abgelegt zu haben, als er erzählte, wie er sie kennengelernt hatte, Lilly und Allmayer, um sich ganz seiner Nostalgie hinzugeben, auch wenn es ihm gleichzeitig unangenehm war, überhaupt davon zu reden, und er sich vorher absicherte.
    »Du wirst dich darüber lustig machen.«
    Es war ein Literaturwettbewerb gewesen, bei dem sie alle drei mit ein paar tausend Schilling bedacht worden waren, eine von ihm unselig genannte, aber in meiner Vorstellung geradezu liebenswert harmlose Veranstaltung, von der er sprach, als habe er allen Grund, sich dafür zu schämen.
    »Damals war ich naiv genug, zu glauben, es wäre mehr als nur eine kleine Aufmerksamkeit, als am Tag darauf ein Photo von uns in der Zeitung erschienen ist«, sagte er, und kaum daß er angefangen hatte, hörte er auch schon wieder auf zu lachen. »Ich weiß nicht, ob ich es noch irgendwo habe, aber wenn ich mich nicht täusche, muß Lilly in der Mitte gestanden sein und einen abscheulich bunten Blumenstrauß in der Hand gehalten haben, der ihr Gesicht fast ganz verdeckt hat.«
    Der Schauplatz war Innsbruck, und er ließ sich nicht zu einem denunziatorischen Ton hinreißen, war auf eine spielerische Weise spöttisch, als er fortfuhr, daß damit seine allzu kurze, unbeschwerte Phase als Bohemien begann, das Jahr, in dem er zum ersten Mal versucht hatte, einen Roman zu schreiben, der, unnötig, es überhaupt zu betonen, natürlich mißlang. Er wirkte abwesend, während er ohne die naheliegenden Zynismen ein idyllisches Bild davon malte, allem Anschein nach bemüht, den Tagträumer, als den er sich hinstellte, ernst zu nehmen. Als wäre er selbst verwundert von der Zärtlichkeit, mit der er über sich sprechen konnte, machte er immer wieder eine Pause und schien dabei seiner Stimme nachzulauschen wie der von jemand anderem. Das ging so weit, daß er am Ende fast flüsterte,

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