Das Handwerk des Toetens
Monate, bevor es die ersten Toten in Kroatien gegeben hatte, mit ihr nach Graz gezogen war, wo sie als Meteorologin eine Assistenzstelle an der Universität antreten sollte. Er hatte sie kurz davor kennengelernt und geheiratet, voll Staunen darüber, daß es so jemanden wie sie überhaupt gab, wie er sagte, war einfach mit ihr gegangen, froh, daß sie ihn aus seiner Höttinger Wohnküche herausgeholt hatte, ihm die Entscheidung abgenommen, seinen Roman endlich aufzugeben, nach dem zweiten oder dritten Anlauf, ihn regelrecht davon freigesprochen, wie sie es in den folgenden Jahren immer wieder tun sollte, sobald er sich von neuem verrannt hatte. Mochte es noch so bitter klingen, er schien Wert darauf zu legen, wenigstens ein vermurkstes Lachen zustande zu bringen, als er darüber sprach, daß sie stets im entscheidenden Augenblick aufgetaucht war und ihn mit ein paar Sätzen überzeugt hatte, alles stehen und liegen zu lassen und zurück nach Hause zu kommen, wenn er sich wieder einmal, um zu schreiben, für ein paar Wochen in einem der Untermietszimmer verkrochen hatte, in all den für ihn am Ende ununterscheidbaren Städten, die über halb Europa verstreut waren und deren Namen aneinandergereiht großartig wie in einer Parfumwerbung klangen, in Wirklichkeit aber nur immer neue Stationen seines Scheiterns waren.
Da schien Graz nicht schlechter und nicht besser als andere Orte auch, das Haus in Eggenberg mit dem großen, vernachlässigten Garten, an dem die Straßenbahn auf ihrem Weg ins Zentrum vorbeischrammte, doch er konnte es nicht lassen, sich über sich selbst lustig zu machen, wenn er sich zu der halb kryptischen Aussage verstieg, es habe damit geendet, daß er plötzlich ein nicht mehr ganz junger Mann in einer Geschichte mit einem Hund war, der sich auf eine resignierte Beschaulichkeit eingerichtet hatte und langsam grau wurde, als eines Tages Allmayer vor der Tür stand.
»Gewesen muß das gleich zu Beginn der Auseinandersetzungen in Slowenien sein«, sagte er. »Er ist aus Spielfeld gekommen, wo an dem Tag Bomber eine wartende Lastwagenkolonne angegriffen haben.«
Das war natürlich nicht in Österreich geschehen, sondern auf der anderen Seite der Grenze, in Šentilj, wie der Ort dort hieß, keine fünfzig Kilometer entfernt, so daß es sich für ihn geradezu aufgedrängt hatte, einen Abstecher zu ihnen zu machen, und obwohl er kaum eine Stunde blieb und dann versuchte, nach Ljubljana zu gelangen, wo alle Ein- und Ausfallstraßen gegen die erwarteten Panzer verbarrikadiert waren, sei es der Anfang einer ganzen Reihe von Besuchen gewesen. Er tauchte auch danach immer unverhofft auf, war auf dem Weg nach Kroatien oder unterbrach seine Fahrt von dort zurück nach Wien, wo er damals noch lebte, habe geklingelt und sei direkt vor dem Gartenzaun gestanden, das Auto, eine fast schon pittoresk zerbeulte, japanische Limousine, der die Radkappen fehlten, mit laufendem Motor auf dem Gehsteig abgestellt und einen Arm auf die offene Wagentür gelegt, als fürchtete er jedesmal von neuem, verscheucht zu werden. Die Haare trug er jetzt länger als früher, und er hatte ostentativ eine Zigarette im Mund, war braungebrannt, so viel Zeit verbrachte er im Freien, und habe vielleicht deshalb auch in der Regel etwas Gutgelauntes an sich gehabt, zumindest wirkte es so, auch später noch, wenn er manchmal buchstäblich aus dem Nichts kam und ohne Zweifel Dinge gesehen hatte, die einem das Lachen verschlugen.
Es wunderte mich, daß Paul erst jetzt damit herausrückte, doch als ich ihn fragte, meinte er nur, er habe an das meiste nicht mehr gedacht und sei von seiner Frau wieder darauf gebracht worden.
»Nach dem Begräbnis hat sie über nichts anderes geredet«, sagte er. »Sie ist besessen davon gewesen, sich von jedem einzelnen Besuch so viel wie möglich in Erinnerung zu rufen.«
Offenbar war er vom Friedhof noch mit ihr in ein Lokal gegangen, aber alles, was sie dabei über die Zeit von damals erzählt hatte, kam ihm viel zu genau vor, und er zweifelte es an.
»Wenn es nicht eine Vermischung mit dem gewesen ist, was sie später dazu gelesen hat, müssen wir da schon in verschiedenen Welten gelebt haben.«
Es brauchte keine große Beobachtungsgabe, um zu erkennen, daß sich sein Blick dabei veränderte, und ich sah ihm zu, wie er mit den Füßen im Sand scharrte, trotzig verbohrte Bewegungen, bis er aufstand und auf den Spuren herumtappte, als wollte er sie verwischen. Dann setzte er sich wieder und legte mir einen
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