Das Handwerk des Toetens
noch über sie sprach und sich dazu hinreißen ließ, sie allen Ernstes ein Wesen von einem anderen Stern zu nennen, ehe er auf das Wetter umschwenkte, sich darüber verbreitete, daß es gut oder schlecht gewesen war wie immer bei Begräbnissen, und ich am liebsten aufgestanden und gegangen wäre, so absurd kam mir alles vor.
Bei unserem nächsten Treffen unterbrach ich ihn, sooft er anfing, von Lilly zu sprechen, und bekam die Geschichte trotzdem noch einmal in Bruchstücken serviert. Ich hatte ihm vorgeschlagen, sich mit mir irgendwo an die Elbe zu setzen, in der Hoffnung, er wäre abgelenkt und würde sich nicht wieder verrennen und die ganze Zeit nur auf ihr herumhacken. Dazu war ich einfach aus der Stadt hinaus, irgendwo hinter Wedel abgebogen und an den Strand gefahren, ohne zu ahnen, in welchem Paradies wir landeten, und es war eine merkwürdige Verbindung, seine immer von neuem einsetzenden Tiraden über sie und die unversehens aus dem Gebüsch hervorbrechenden Nackten, die dort ihr Revier hatten und eine Weile gegen die Nachmittagssonne blinzelten, als hätten sie sich in der Zeit geirrt, bevor sie wieder verschwanden oder die Wasserlinie entlangstaksten wie nie richtig wild gewesene Tiere.
Da war es auch, daß er zum ersten Mal länger über seine Frau sprach, und obwohl es zum Glück kein Lamentieren wurde, entging mir nicht, wie sehr ihn die Begegnung mit ihr durcheinandergebracht haben muß. War er davor immer verstummt, wenn ich ihn nach ihr gefragt hatte, erzählte er jetzt ohne Bedenken, und es war nicht allein Wehmut, sondern eine anhaltende Verwunderung, kaum hatte er sie wiedergesehen, ein Staunen, daß der Platz neben ihr leer sein sollte oder gar von einem anderen besetzt, geradeso, als würde er selbst nicht existieren, wenn nicht dort. Auch dafür kannte ich Beispiele genug, aber bei ihm wirkte es noch hilfloser als sonst, und alles, was er über sie vorbrachte, erweckte gleichzeitig den Anschein, als wäre es für ihn gar nicht denkbar, das Leben mit ihr, von dem er sprach, jemals gelebt zu haben. Es waren die einfachsten Sätze, die mir klarmachten, wie zerrissen er war, er brauchte nur zu sagen, wir hatten einen Hund, oder eine ähnliche Belanglosigkeit, und dann schweigend vor sich hinzustarren oder nach einer Weile zu fragen, ob ich mir das vorstellen könne, ohne sich darauf eine Antwort zu erhoffen, und ich dachte, daß er das mit sich herumschleppen würde, solange er lebte, diese Irritation, auch wenn sich mit ihr noch einmal alles einrenken würde, es wäre nicht das, was er wollte, nicht, was er gehabt hatte, nur ein weiterer Beweis dafür, daß es vorbei war.
Er hatte nicht erwartet, daß sie zu Allmayers Begräbnis kommen würde, aber als sie dann da war, sei er überrascht gewesen von ihrem unkomplizierten Umgang mit ihm, selbst wenn er sich des Gedankens nicht zu erwehren vermochte, es ginge ihr ohne ihn besser. Noch bevor er sie gesehen habe, hatte er ihren Blick auf sich gespürt und dann ihre Augen entdeckt, ihr Leuchten, er konnte es nicht anders sagen, und schon kam sie auf ihn zu, ihre Schritte, wie immer, ein bißchen zu lang, ungelenk, wie ihm schien, und doch, ihr Gang war ein Schreiten. Natürlich hätte er sie umarmen sollen, als sie vor ihm stand, aber er rührte sich nicht, machte genau das wieder falsch, was sie ihm so oft vorgeworfen hatte, versackte in seiner Reglosigkeit, die ihn plötzlich befiel, und habe sie nur in einem fort angestarrt.
Davon sprach er zu allem Überfluß auch noch, als ginge es um einen anderen, und ich sah, daß er über das Wasser schaute, die Wellen, die der aufgefrischte Wind gegen die Strömung über den Strand trieb.
»Sie ist dagestanden und hat nur den Kopf geschüttelt«, sagte er, ohne den Blick zu heben. »Es hat eine Weile gedauert, bis ich gemerkt habe, daß es nicht über mich war, sondern über den Toten und sein trauriges Ende.«
Es hatte außer ihr angeblich kaum jemanden gegeben, der Allmayer beim Vornamen genannt hatte, und während sie ihn flüsterte, habe er sich daran erinnert, daß es ihr früher manchmal, wenn sie besonders aufmerksam sein wollte, gelungen war, ihn in jeden zweiten oder dritten Satz einzuflechten.
»Dann hat sie immer Christian gesagt.«
Es war nicht mehr als ein Zischen.
»Ich habe es oft schon nicht mehr hören können«, fuhr er fort. »Vielleicht habe ich deshalb eine Gänsehaut bekommen, als sie sich am Grab noch einmal damit hervorgewagt hat.«
Dann erzählte er, daß er nur ein paar
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