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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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unvermeidlichen Gruppen manchmal alle gleich vorgekommen seien, waren es eigentlich nur die Aufgedrehtesten unter ihnen, denen er damit aus dem Weg ging, diejenigen, die bei ihrem obligatorischen Whisky von stories sprachen und trotz der Eindeutigkeit, die das Wort in ihrer Situation hatte, von shots , die sich ärgerten, statt sich zu freuen, sooft sie irgendwo hinkamen und alles ruhig war, dann aber stundenlang diskutierten, ob sie die größten Grausamkeiten zeigen sollten oder nicht, nur um zu guter Letzt zu dem schon vorher feststehenden Schluß zu gelangen, sie hätten gar keine andere Wahl, es wäre ihre Pflicht, es zu tun. Es war ihr Sportreportergehabe, das er nicht mochte, die Art, wie sie um Zeilen und Minuten feilschten, wie sie sich überlegten, welche Aspekte man dem Krieg noch abgewinnen könnte, als das Spektrum längst ausgereizt war und nicht einmal mehr ein in einem offenen Schädel herumpickendes Huhn, wie sie selbst sagten, ihnen den Aufmacher brachte, bis sie sogar so weit gegangen seien, als eine Art Kontrastprogramm die an den Rändern noch existierenden Idyllen auszugraben, auch wenn dabei nur der übliche folkloristische Schwachsinn herauskam. Das sei ihm um so lächerlicher erschienen, als er wußte, wie sie manche ihrer Schockbilder überhaupt erst zustande gebracht hatten, war er doch mit den Berichten vertraut, wonach sie sich im Zweifelsfall auch einen schönen Leichenhaufen arrangieren ließen, wenn ihnen die Wirklichkeit nicht schrecklich genug war, oder ihre Kameras einfach willfährigen Einheimischen aushändigten und sie für ein paar Mark mit dem Auftrag, ihnen etwas Brauchbares zu liefern, in die schlimmsten Gefechte hineinschickten. Wenn sie nichtsdestotrotz mit ihren Heldentaten prahlten, konnte er nicht zuhören, weil es kaum einen von ihnen gegeben habe, der seiner Darstellung nach nicht irgendwann einmal gerade in letzter Sekunde noch davongekommen war, den man nicht beschossen oder ein paar Stunden lang festgehalten hatte, aber ob das stimmte oder nicht, am Ende sei für ihn jede Erzählung, die den Berichterstatter zum Mittelpunkt machte, langweilig gewesen, langweilig und obszön, es sei denn, es wäre wirklich um das eigene Leben und den eigenen Tod gegangen.
    Je länger Paul darüber sprach, um so klarer wurde mir, daß er Allmayers Abneigung teilte, aber ich staunte, wieviel ihm daran lag, auch mich davon zu überzeugen, als er noch einmal zu einer Erklärung ansetzte.
    »Es gibt ein Bild von einem Fernsehjournalisten, an dem das Paradoxe des Ganzen sichtbar wird«, sagte er, und in seiner Stimme lag etwas unangenehm Triumphierendes. »Darauf steht er vor einem zusammengeschossenen Haus, ein Mikrophon in der Hand, und macht allem Anschein nach gerade seine Ansage.«
    Ich hätte ihn am liebsten gefragt, was daran so außergewöhnlich sein soll, aber er hob abwehrend eine Hand, und ich hielt mich zurück.
    »Die Legende darunter verrät, daß die Jacke, die er trägt, eine Splitterweste ist und er für den Notfall ein Schildchen mit seiner Blutgruppe daran angebracht hat«, begann er auch schon von neuem. »Es wäre alles schön und gut, würde man nicht im Vordergrund den Rücken seines Kameramanns in einem bloßen, weißen T-Shirt sehen.«
    Ich verstand nicht, warum er sich darüber aufregte. Es mußte ihm doch klar sein, daß solche Szenen gestellt waren, und wenn er darauf hinwies, machte er sich für mich nur lächerlich. Ich schaute ihn an und verbiß es mir, zu sagen, daß damit nichts bewiesen war, außer wie irrational er sich gebärdete.
    »Du glaubst doch nicht, Allmayer ist anders gewesen?«
    Es war eine hilflose Frage, die ich ihm mehr aus Verlegenheit stellte, als daß ich mir eine Antwort erwartete, aber er nahm sie ernst, erwiderte, daß er das nicht behaupten wolle, und brachte auch gleich eine Erklärung dafür.
    »Viel eher stelle ich mir vor, er hat sich von seinen Kollegen möglichst ferngehalten, um nicht ständig sein eigenes Bild vor Augen zu haben.«
    Genau deshalb sei die Frau, bei der er sein Zimmer hatte, das Beste für ihn gewesen, eine Siebzigjährige, die noch aus ihrem Elternhaus deutsch konnte und ein letztes Überbleibsel einer der Familien war, die er in Wien allein schon wegen ihres altösterreichischen Namens gehaßt hätte, in Zagreb aber, ob er wollte oder nicht, als etwas geradezu Bewahrenswertes empfand.
    »Ohne sie hätte er manches sicher gar nie erfahren«, sagte er. »Schließlich hat er kein Wort kroatisch gesprochen und ist

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