Das Handwerk des Toetens
Nächte wach blieb, obwohl sie am nächsten Tag arbeiten sollte, und ihn ausfragte, sich erkundigte, ob es stimmte, sie hatte in den Zeitungen dies oder das gelesen, und er mußte ja sagen, es gab die verstümmelten Leichen, ja, er hatte selbst welche gesehen, und er würde es lieber verschweigen, aber, ja, sie waren in einem schrecklichen Zustand, hatten Herz und Augen ausgestochen und, wenn sie es schon so genau wissen wollte, nichts Menschliches mehr an sich.
Paul war immer mehr in Erregung geraten und schien jetzt Angst zu haben, ich könnte ein falsches Bild von seiner Frau bekommen.
»Nicht daß sie sensationslüstern gewesen ist.«
Er war ganz Abwehr.
»Sie hat ihn nicht einfach um eine Aufzählung der größten Abscheulichkeiten gebeten«, begann er von neuem und wartete, als wollte er mir Zeit geben, zu widersprechen, bevor er weiterredete. »Eher scheint sie geglaubt zu haben, das sei die richtige Art, sich um ihn zu kümmern, wenn er müde und abgerissen angekommen ist.«
Dabei habe Allmayer eher den Eindruck erweckt, er wolle in ihrem Haus von all dem nichts wissen, sei für einen Tag geflohen und wünsche sich, daß man ihn wenigstens dort, wo kein Krieg war, damit auch in Frieden ließ. Es habe oft etwas fast Zwanghaftes gehabt, wenn er das Gespräch abrupt auf Alltägliches lenkte und sich ausgiebig nach irgendwelchen Nichtigkeiten erkundigte, das Essen lobte oder den Wein, als hätte er nicht alles, was man ihm vorsetzte, mit der gleichen Nonchalance zu sich genommen. Manchmal tauchte er auf und wollte nur schlafen, sei nicht mehr als eine Stunde dagesessen und habe sich dann hingelegt, einmal sogar mit nur einer Decke im Garten, und ein anderes Mal, als er ein Mädchen dabei hatte, das er den ganzen Abend seine Dolmetscherin nannte, obwohl es kaum ein Wort Deutsch verstand, war er erst gegen Mittag aus seinem Zimmer aufgetaucht und, das Hemd halb zugeknöpft und die Haare noch naß, wie der großspurigste Idiot mit quietschenden Reifen davongefahren.
Ohne Zweifel war es auch eine verkappte Bewunderung für ihn, die Paul mit solchen Geschichten zum Ausdruck brachte, und ich war von der dann folgenden Frage nicht überrascht.
»Habe ich schon gesagt, wie sehr er den Hund geliebt hat?«
Für mich war es klar, daß er damit etwas ganz anderes meinte, konnte er doch in den Pausen, die er geradezu pathetisch auskostete, seine Rührung nicht mehr verbergen.
»Ich habe sonst niemanden gekannt, der so mit ihm umgegangen ist«, sagte er dann. »Er hat ihn mit ein paar Worten verrückt machen können vor Aufregung und durch einen winzigen Wechsel im Tonfall sofort wieder beschwichtigen.«
Ich erwartete mir schon eine Anekdote, aber er beobachtete eine Zeitlang nur das Schiff, das jetzt auf unserer Höhe war und sich im Wind scheinbar ohne einen Laut elbabwärts schob, auf das offene Meer und auf die Nacht zu. Dann schien er seinen Blick auf die Bugwelle zu fixieren, die sich auf uns zubewegte und mit einem kraftlosen Klatschen über den Sand schlappte, und mir wurde ganz klamm zumute, als ich ihn ansah. Er hatte sich gerade eine Zigarette angesteckt, aber statt sie gleich wieder wegzulegen und unbeachtet abbrennen zu lassen wie im Café, behielt er sie zwischen den Lippen, zog hektisch daran, ohne daß es zu mehr als einem Paffen gereicht hätte, und war kaum zu verstehen, als er schließlich wissen wollte, ob ich Zagreb kannte.
»Ich war einmal da, aber nur für einen Tag«, sagte ich, erstaunt, daß er danach fragte. »Es muß Anfang der achtziger Jahre gewesen sein, wenn ich mich richtig erinnere.«
Das war eigentlich schon alles, aber er hörte nicht auf.
»Hat es dir gefallen?«
Ich nickte.
»Es ist mir nur ein bißchen düster vorgekommen«, setzte ich hinzu. »Ich habe mich weniger an einem anderen Ort als in einer anderen Zeit gefühlt.«
Das schien ihn aber nicht weiter zu interessieren, so, wie er übergangslos erzählte, Allmayer habe im ersten Kriegsjahr ein Zimmer ganz in der Nähe des Bahnhofs gehabt.
»Bevor er zum ersten Mal wieder nach Hause gefahren ist, scheint er mitunter Wochen dort verbracht zu haben«, sagte er. »Er muß in der Regel sogar länger geblieben sein, als es für seine Arbeit notwendig war.«
Angeblich hatte er sich bei einer Witwe eingemietet, um seinen Journalistenkollegen in den Hotels auszuweichen, den ständig wechselnden Runden, die sich in der Bar versammelten, gerade aus einem Kampfgebiet zurück oder einmal mehr dorthin unterwegs. Obwohl ihm in den
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