Das Handwerk des Toetens
Zerstörung gesehen habe, eine Abwehr gegen einen Blick, der sich erst auf etwas richtete, wenn es entweder zu verschwinden drohte oder gerade verschwand oder überhaupt am besten bereits verschwunden war. Als wäre die einzige Mitteilungsform, die noch ihre Adressaten erreichte, die Todesanzeige, so kommt es mir vor, und die Stadt verwandelte sich allein schon deshalb, kaum daß sie Aufmerksamkeit erlangt hatte, in eine Ruine, aber ich weiß nicht, ob es daran liegt, weil ich ihr Schicksal kenne, oder ob ich auch sonst gedacht hätte, die drei Silben, deren Dunkelheit man durchbuchstabieren kann, bis einem schwindlig wird, könnten genauso gut ein Fanal in den beiden Weltkriegen bezeichnen, ein Schlachtfeld in Flandern oder einen Kessel im russischen Winter. Es war in Wahrheit ein unbekanntes Provinznest, das kein Mensch je beachtet hätte, weitab von den touristischen Pfaden im langweiligsten Flachland, gut nicht einmal für einen sogenannten Geheimtipp, ein verschlafener Flecken mit in den Außenbezirken noch ungepflasterten Straßen, Schlammpfützen bei Regen und den für die Gegend angeblich typischen, wie seit Jahrhunderten gleich herumstreunenden schwarzborstigen Schweinen, und ich kann über die Heuchelei nur den Kopf schütteln, wenn ich höre, wie auf einmal alle seine Schönheit entdecken, nur weil sie nicht mehr existiert, wie sie über ein Barockjuwel sprechen, dessen prächtige Silhouette mit Gebäuden aus der Habsburgerzeit schon von weitem an der weißen Steilküste der Donau wie über einem Meer aus Maisfeldern auftauchte, obwohl davon natürlich keine Rede sein konnte, oder nur, wenn man ein sehr feines Gemüt hatte und vor den Tatsachen die Augen verschloß.
Ich hatte eine Zeitlang nur auf das Geräusch des Regens gelauscht, der mit unverminderter Heftigkeit auf das Dach des Wagens schlug, und war überrascht, als Paul auf einmal darauf zu sprechen kam, wie Allmayer ein oder zwei Tage nach seinem Interview mit dem kroatischen Frontkämpfer völlig überraschend in Graz aufgetaucht war. Er hatte seine Stimme kaum gehoben, und trotzdem entging mir nicht, daß das Wohlwollen fehlte, das er ihm sonst immer entgegengebracht hatte, die Vorsicht, die geboten war, wenn er sein Leben auseinandernahm und neu zusammensetzte, als wäre es dann wahrhaftiger, sinnvoller oder was auch sonst immer und nicht einfach nur genauso vorbei, wie es war. Dafür klang etwas ganz und gar Sarkastisches durch, als er erzählte, seine Frau habe sich selbstverständlich noch genau an den Besuch erinnert und, so, wie er auftrat, den Eindruck gewonnen, es müsse etwas passiert sein.
»Leider kann ich selbst nichts dazu sagen«, fuhr er fort, als wollte er sich im Ernst dafür entschuldigen. »Ich habe gerade meinen ersten Auftrag für eine Zeitung gehabt und bin nicht zu Hause gewesen.«
Der auffallendste Unterschied zu anderen Malen bestand darin, daß Allmayer einen Begleiter dabei hatte, einen Journalisten aus Stuttgart, und es stellte sich heraus, daß er unter anderem seinetwegen Vinkovci für seinen Vorstoß an die Front gewählt haben muß und nicht eine andere Stadt, eine, die näher gelegen und leichter erreichbar gewesen wäre, Sisak vielleicht, an der Save, oder gar Karlovac. Offenbar hätte er mit ihm gemeinsam fahren wollen, war dann aber, von seinem plötzlichen Zaudern enttäuscht, allein aufgebrochen, nur einen Dolmetscher an seiner Seite, und hatte ihn erst auf der Rückreise in Zagreb wieder getroffen und von dort, ohne lange zu fragen, nach Graz mitgebracht. Es war seine Herkunft, die ihn interessierte, die Tatsache, daß seine Eltern zwar Deutsche gewesen waren, aber aus dem Vorkriegsjugoslawien stammten, dem Königsstaat vor dem Zweiten Weltkrieg, und die Fahrt nach Slawonien hätte nicht nur eine Fahrt in den jetzigen Krieg sein sollen, sondern auch eine Fahrt zurück in die Schrecknisse vor fünfzig Jahren.
Zumindest war das Pauls Formulierung, und er lachte, als er gleich nachsetzte, seine Frau habe nach all der Zeit noch gewußt, daß der Herr, angeblich ein Männchen, das ihr kaum bis zu den Schultern reichte, dafür aber einen um so imposanteren Schnurrbart und stechende Augen hatte, allen Ernstes Schreyvogel hieß.
»Komm mir nicht mit dem Einwand, ich erfinde das für meinen Roman«, beeilte er sich zu sagen. »Das ist wirklich sein Name gewesen.«
Bevor er fortfuhr, wiederholte er ihn noch einmal, als könnte er sich dazu niemanden vorstellen, um dann gleich wieder vor sich
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