Das Handwerk des Toetens
mich.
»Vielleicht lasse ich ihn in meinem Roman trotzdem irgendwann in den letzten Wochen vor dem Fall in die Stadt vordringen«, begann er noch einmal. »Er hat genug zwielichtige Figuren kennengelernt, die sich als Führer angeboten haben.«
Ich brauchte nichts zu erwidern, mußte er nach allem, worüber wir gesprochen hatten, doch ganz genau wissen, was ich davon hielt.
»Auch wenn es in Wirklichkeit nicht so gewesen ist, möglich war es immerhin«, versuchte er dennoch, sich zu rechtfertigen. »Es scheint bis fast zuletzt einen Verbindungsweg von den vordersten kroatischen Stellungen dorthin gegeben zu haben.«
Das mochte alles richtig sein, nur sah ich keinen Sinn darin, daß er sich darauf einlassen wollte, ausgerechnet den Schauplatz ins Zentrum zu rücken, über den im ersten Kriegsjahr am meisten geschrieben worden war. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er etwas anderes zustande bringen würde als die Berichte, die wochenlang die Nachrichten dominiert hatten, die sich wiederholenden Artikel über die Bombardements vom Land, aus der Luft und vom Wasser, wie es hieß, die Exzesse der nach der Kapitulation einrückenden Freischärler und die nach Wochen unter der Erde weinend zum ersten Mal wieder ans Tageslicht taumelnden Gestalten, die von ihnen durch die brennenden Ruinen getrieben wurden. Es wäre leichtfertig, wenn er Allmayer da einfach hineinsetzte wie vor eine Kulisse, die er beliebig hin- und herschieben konnte, aber als ich ihm das klarzumachen versuchte und er darauf einging, wunderte ich mich, daß er sich dann so schnell davon abbringen ließ und mir auch noch zustimmte.
»Vielleicht hast du recht, und ich sollte es lieber so anlegen, daß er erst, wenn alles vorbei ist, mit den Serben in die Stadt gelangt.«
Offenbar war genau drei Tage nach ihrer Einnahme, von der Bundesarmee organisiert, ein Bus mit Journalisten von Belgrad aus dorthin gefahren, und obwohl Allmayer auch da nicht dabei gewesen zu sein scheint, hatte er seine Kollegen noch Monate später immer wieder über die makabere Veranstaltung reden gehört.
Auch das wußte Paul natürlich von seiner Frau, und wenn ich zuerst noch gestaunt hatte, nahm ich es längst für selbstverständlich, wie genau er darüber informiert war.
»Sie muß ihn mit ihren Fragen verrückt gemacht haben, ob es stimmte, daß in den Straßen noch die Leichen herumgelegen waren und über der ganzen Gegend ein unangenehm süßlicher Geruch hing«, sagte er. »Er hat sie dann mit Beschreibungen eines penetrant über einem Punkt kreisenden Rabenschwarms abzuspeisen versucht und von der Stille gesprochen, in der plötzlich die träge dahinfließende Donau zu hören war.«
Es lag vielleicht an Pauls Art, seinem trockenen Registrieren noch der absurdesten Tatsachen, daß ich weniger und weniger nachfragte, aber wann immer mir einfällt, wie er über diese Besichtigungstour gesprochen hat, weiß ich nicht, wie ich mir das vorstellen soll, Offiziere, die ein Häufchen entsetzter Journalisten wie in einem Freilichtmuseum herumführten und selbst zwischen dem Grauen, das sie über das Vorgehen ihrer irregulären Truppen gepackt hatte, und notorischen Scherzen hin- und herschwankten. Ich erinnere mich daran, wie er gesagt hat, einer von ihnen sei wie ein Fremdenführer vorausmarschiert, sein Gewehr über dem Kopf schwenkend, als wäre es ein Regenschirm, und habe gerufen, Bombentrichter hier, massakrierte Zivilisten da, aber Bilder wollen sich mir keine einstellen, es sind nur die Worte, nichts sonst von dem Hinterhof, wo sie gelegen sein sollen, zwanzig, dreißig, fünfzig nebeneinander, Wind und Wetter ausgesetzt. Er brauchte mich nicht darauf aufmerksam zu machen, es war klar, daß dann die übliche Zuweisung erfolgte, zu wem sie gehörten, davon lebte der Krieg, ob einer von uns war, wie es hieß, oder nicht, und wenn ich mir ein ums andere Mal vergeblich die Blicke auf die ausgeliefert daliegenden Körper zu vergegenwärtigen versuche, wünsche ich mir, sie hätten wenigstens zurückschauen und die Besucher aus dem ach so fernen Europa sehen können, die unwillkürlich zurückwichen, Taschentücher hervorkramten oder sich gegen den Gestank die Kragen ihrer Hemden vor die Nase hielten.
Danach müssen sie mit serbischer Bohnensuppe und ausgerechnet Slibowitz bewirtet worden sein und, als sollten sie für ihr Gewerbe verspottet werden, zum Abschied einen Kugelschreiber mit der Aufschrift JNA, den drei allgegenwärtigen Buchstaben der Armee, als Souvenir
Weitere Kostenlose Bücher