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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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geblieben, mit dem er plötzlich auf seine offenen Hände starrte. Ich dachte schon, er würde sich mit einem Scherz über die Stille hinwegfeixen, aber er schaute nur suchend umher, bis er endlich einen Punkt gefunden hatte, den er fixieren konnte.
    »Ob es geschneit hat?«
    Ich merkte, was für eine sentimentale Situation ich herbeigeredet hatte, und überlegte mir, wie ich ihn ablenken könnte, doch er war schon nicht mehr zu halten.
    »Ich weiß nicht, ob es geschneit hat«, sagte er, und jedes Wort klang überdeutlich. »Es muß aber kurz vor Weihnachten gewesen sein.«
    Dann schwieg er, wie ich es befürchtet hatte, und ich war froh, daß sich ganz vorn die Kolonne endlich in Bewegung setzte. Augenblicklich startete auch ich den Wagen, und als ich das Gas im Leerlauf durchtrat, legte er mir die Hand auf den Unterarm, wie wenn er mich beschwichtigen wollte. Ich wartete, bis er sie wieder wegnahm, und ließ dann prompt den Motor absterben. Erst danach wandte ich mich ihm zu, aber er schaute hinaus in den Tunnel aus schwitzenden und dampfenden Blättern, in dem sich das Licht nach dem Unwetter allmählich wieder erholte und ein Geruch in der Luft hing, der mich an meine Kindheitssommer an der Nordsee erinnerte, wenn es geregnet hatte, Himmel und Wasser ununterscheidbar grau waren und ich mir allen Ernstes einbilden konnte, es sei die Farbe, sonst nichts, nach der es roch.
    Auf der Gegenfahrbahn tauchten die ersten Autos auf, die sich langsam näherten, und ich war selbst gerade angefahren, als Paul sagte, er sei damals aus Triest zurückgekommen. Das klang, als müßte er schon dadurch gegen alles gefeit sein, und genauso sprach er dann auch von seiner eigenen, ohne Zweifel nicht mehr ganz frischen Idee, mitteleuropäische Städteportraits zu schreiben, von Budapest und Prag, die noch auf dem Plan gestanden waren, während ich ihn abwechselnd aus den Augenwinkeln betrachtete und meine Blicke dann wieder auf die Straße richtete. Ich merkte, wie sehr er sich bemühte, nicht zu klagen, und doch war Selbstmitleid dabei, erzählte er ausgerechnet von dem Champagner und den Feuerwerksraketen, mit denen seine Frau nach Hause gekommen war, als er endlich die Zusage der Zeitung gehabt hatte, auf eine Weise, die ich kaum ertrug, um schließlich in den reinsten Zynismus umzukippen.
    »Dadurch bin ich natürlich noch immer kein Kriegsberichterstatter gewesen«, sagte er, und er hätte das Wort nicht verächtlicher aussprechen können. »Es ist klar, daß mir dafür alles gefehlt hat.«
    Ich hätte am liebsten erwidert, er habe solche Gehässigkeiten nicht nötig, aber er winkte zum Glück schnell ab, auch wenn er sich dann nicht entblödete, wie ein Schauspieler in einem schlechten amerikanischen Film auszuposaunen, daß er seine Frau immer noch liebe.
    »Um so lächerlicher komme ich mir vor, wenn ich daran denke, wie ich mit ihr nicht lange nach den Schießereien in Slowenien ein paar Kilometer über die Grenze gefahren bin, um zu schauen, ob noch etwas davon zu sehen war«, begann er von neuem, und die Resigniertheit seiner Stimme ließ sich nicht mehr überhören. »Wir sind auf einer kleinen Paßstraße hin und, ohne auch nur einen Abstecher nach Ljubljana zu machen, über Spielfeld wieder zurück, aber es ist von Anfang an eine Kinderei gewesen.«
    Angeblich erinnerte er sich an kaum mehr etwas von diesem Tag außer an ein eiskaltes Bad in der Drau, und daß es nichts weiter Aufregendes zu entdecken gegeben hatte, erst bei der Rückfahrt auf der österreichischen Seite irgendwo einen im Gebüsch geparkten Panzer und ein paar wie versprengt wirkende Soldaten, die mit aufgekrempelten Ärmeln am Straßenrand standen. Der Spott war geschenkt, aber trotzdem mußte er loswerden, daß sie bei ihm den Eindruck erweckt hatten, als würden weder sie selbst sich noch sonst jemand ihnen zutrauen, im Zweifelsfall die Grenze auch nur einen Tag lang zu verteidigen. Sie hatten alle geraucht, so viel wußte er noch, hatten gelacht und gewinkt und am Ende obszöne Gesten gemacht, als ihnen seine Frau aufgefallen war, und, danach zu schließen, wie er sich darüber ausließ, damit genau das unbedarfte Bild abgegeben, das er von ihnen schon vorher gehabt hatte.
    Wir kamen noch immer nur stockend voran, und ich war froh, daß wenigstens für den Augenblick nicht die Gefahr bestand, er könnte von neuem in sein Schweigen verfallen. Ich brauchte kaum etwas zu sagen, so gesprächig war er auf einmal, und sogar als vor uns am Straßenrand der

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