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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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gehabt haben.«
    Das hörte sich vielleicht gut an, stimmte aber nicht.
    »Ganz im Gegenteil.«
    Ich war mir sicher.
    »Wahrscheinlich ist es eher umgekehrt«, setzte ich noch einmal an. »Gewöhnlich reden doch gerade die größten Haudegen am liebsten davon.«
    Er hatte sich die Zigarette in den Mund gesteckt und holte sie wieder heraus, als wollte er mir widersprechen, nickte dann aber nur und bemühte sich eine Weile vergeblich, sie zum Brennen zu bringen, riß ein Streichholz nach dem anderen an und führte es mit beiden Händen zum Mund, bis es ihm endlich gelang und er eine Zeitlang scheinbar gedankenverloren vor sich hin paffte.
    »In Sarajevo soll man an gewissen Tagen den Abschuß einzelner Granaten von den umliegenden Hängen gehört haben«, sagte er schließlich. »Dabei muß das denkbar harmloseste Geräusch entstanden sein.«
    Damit meinte er nicht das Pfeifen, das, mit wechselnden Prädikaten versehen, in den einschlägigen Frontbeschreibungen auftauchte, sondern das, was davor war.
    »Offenbar hat es ein kaum wahrnehmbares Plop gegeben.«
    Ich sah, wie er seine Zunge gegen die Wangeninnenseite drückte und sie hervorschnellen ließ, doch er brachte nur ein verunglücktes Schnalzen zustande.
    »Zumindest habe ich davon gelesen«, fuhr er fort. »Es ist lächerlich, aber ich stelle mir seither immer einen Laut vor, wie wenn jemand im Nebenzimmer eine Flasche entkorkt.«
    Danach rauchte er wieder eine Weile, sog den Rauch jetzt ganz gegen seine Gewohnheit tief ein und blies ihn geräuschvoll aus, nahm einen letzten Zug und betrachtete den Stummel, als wüßte er nicht, wie er in seine Finger gelangt war, bevor er ihn wegwarf.
    »Unmittelbar vor der Detonation soll es manchmal wie das Geflatter eines aufgeschreckten Vogels geklungen haben«, begann er dann wieder. »Es fragt sich nur, wem das in der Situation überhaupt noch aufgefallen sein kann.«
    Darauf antwortete ich nicht, und während ich mich daran erinnerte, daß Allmayer einmal geschrieben hatte, er könne nach all den Kriegsjahren die Geschütze noch immer nicht nach ihrem Klang voneinander unterscheiden, wisse nur wie jeder Anfänger, der sich wichtig machen wollte, wann etwas incoming und wann es outgoing war, sah ich ihn an. Er hatte sich auf die Ellbogen zurückgelegt und beachtete mich nicht, schaute über das Wasser, das im Wind unruhig war und den beiden vollbeladenen Schleppkähnen, die sich gerade vor uns aneinander vorbeischoben, fast über Bord schlug. Weiter flußabwärts stand ein einlaufendes Schiff wie eine Wand da, und dahinter, als stimmte etwas mit der Perspektive nicht, noch eines, größer, das ganze andere Ufer schien in Bewegung geraten zu sein, solange ich ihm zugehört hatte, es war nicht mehr zu unterscheiden, wo das Gebüsch begann und wo es endete. Von dort zog auch schon eine Wolkenbank heran, die längst die Sonne verdeckt hatte, aber entweder er sah es nicht, oder er genoß es wie ein Schauspiel, und ich machte ihn darauf aufmerksam, daß schon seit einiger Zeit keine Nackten mehr an uns vorbeigeschlendert waren, wie wenn sie die Funktion von Figuren in einem Wetterhäuschen hätten, die je nachdem auftauchten und wieder verschwanden. Der Himmel war jetzt violett, und gerade als ich zu ihm sagte, es werde wahrscheinlich Sturmwarnung geben, und bei der Vorstellung fröstelte, wie die Leuchttürme zwischen Hamburg und der Elbmündung zuckend ihr Licht auswarfen, setzte der erste Donner ein.
    Zurück im Auto, drehte ich das Radio an und war froh, daß er nichts sagte. Die Windschutzscheibe war beschlagen, und ich schaute ihm zu, wie er sie mit dem Ärmel abwischte, dann ein paar Tropfen, wie eine Warnung ein Schwall und, während er sich zurücklehnte, schon das Prasseln auf das Dach, das die Musik verschluckte. Obwohl der Lärm alles übertönte, glaubte ich, ihn atmen zu hören, aus den Lautsprechern dröhnte es, und die Scheibenwischer gaben kaum einen Blick frei, es hätte nur Wasser sein können bis zum offenen Meer.
    Ich weiß nicht, worüber wir auf der Fahrt zurück sonst noch gesprochen haben, aber es muß auf der Elbchaussee gewesen sein, schon in Altona, und wir standen im Stau, als er erzählte, daß Allmayer in all den Monaten, die er in Zagreb verbracht hatte, nur ein- oder zweimal nach Vukovar gekommen war.
    »Das ist vor Beginn der Belagerung gewesen.«
    Er sagte, daß man auch danach noch hinein konnte, aber nur unter erheblichen Gefahren, und die Ankündigung, die er dann machte, überraschte

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