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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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kommen ließ und stets von neuem sein leeres Weinglas hin- und herschwenkte, bis sie aufstand und in den Keller ging, noch eine Flasche holen.
    »Es gibt nichts, was du an ihm nicht abstoßend darstellst«, sagte ich. »Wenn du ihn in deinem Roman auftreten läßt, sollte er vielleicht doch ein paar sympathische Züge haben, damit er glaubwürdig ist.«
    Darauf antwortete er nicht, und ich schlug ihm vor, es mit einem harmlosen Tick zu versuchen, einem angenehmen Lachen oder sonst einem Merkmal, wenn ihm nichts Besseres einfiel, und konnte selbst nicht mitanhören, was ich dann noch hinzufügte.
    »Wenigstens machst du ihn dadurch zu einem Menschen.«
    Er sah mich an, als hätte er kein Wort verstanden.
    »Im Grunde genommen brauche ich ihn gar nicht«, entgegnete er dann. »Er ist am nächsten Morgen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, in aller Herrgottsfrüh weggefahren, und ich kann genauso gut auf ihn verzichten.«
    Das Feuerwehrauto war weiter vorn verschwunden, sein Blaulicht noch ein paar Augenblicke sichtbar, und ich drehte das Radio lauter, als die Meldung kam, daß irgendwo ein umgestürzter Baum auf der Straße lag. Es hatte jetzt ganz aufgehört zu regnen, aus dem Wagen vor uns stiegen ein Mann und eine Frau aus, gingen ein paar Schritte, kehrten jedoch gleich um und nahmen ihre Plätze wieder ein, und ich sah sie bei offenen Türen dasitzen und warten. Ich hatte das Fenster heruntergekurbelt und glaubte, vom Hafen herauf Verladegeräusche zu hören, aber ich mußte mich täuschen, es war vollkommen still, nur ein Knistern draußen, als würde die Nässe schon auftrocknen, und irgendwo in der Ferne das Signal eines Einsatzfahrzeugs, das abrupt abbrach, kaum daß es eingesetzt hatte.
    Genau darauf schien Paul gewartet zu haben, bevor er aussprach, daß seine Frau sich krank gemeldet hatte, um Allmayer Gesellschaft zu leisten, und obwohl seine Stimme nicht die geringste Irritation verriet, wagte ich nicht, ihn anzusehen, als er sagte, die beiden seien noch am selben Nachmittag nach Schladming in den Schnee gefahren.
    »Darüber will ich eigentlich nicht sprechen«, begann er von neuem, nachdem er eine Zeitlang geschwiegen hatte. »Ich kann mich nur um Kopf und Kragen reden.«
    Ich drehte am Radio herum und wußte nicht, ob ich es lauter oder leiser machen sollte, bis er meine Hand wegschob, um es auszuschalten.
    »Stell dir vor, er kommt gerade von der Front zurück, und ihr fällt nichts Besseres ein, als mit ihm schifahren zu gehen.«
    Das mußte einmal bitter geklungen haben, kam jetzt aber ironisch daher, und obwohl es leicht gezwungen wirkte, war ich froh, daß er lachte und eine ganze Weile brauchte, bis er sich wieder beruhigt hatte.
    »Ich habe sie später gefragt, was sie sich dabei gedacht hat, und nur die Antwort erhalten, er muß etwas Schreckliches erlebt haben«, sagte er ohne viel Überzeugung. »So naiv es klingen mag, ich fürchte, ihr Antrieb ist wirklich gewesen, ihn aus seiner Düsterkeit herauszureißen.«
    Ich sah ihn noch immer nicht an, als er erzählte, daß er bei seiner Rückkehr am darauffolgenden Tag einen Zettel auf dem Küchentisch gefunden hatte, auf dem stand, wo die beiden waren, angeblich der Ort, der Name eines Hotels, eine Telephonnummer und die Aufforderung, nachzukommen, wenn er Lust dazu hätte. Es fiel mir schwer, mich in ihn hineinzuversetzen, immerhin war sie seine Frau und Allmayer eine Art Freund, aber zum Glück erwartete er nicht, daß ich mich dazu äußerte. Zu oft schien er das schon für sich durchgekaut zu haben, und als er sagte, er hatte gar keine Wahl, er war von ihnen in eine Rolle gedrängt worden, und wenn er nicht sein Gesicht verlieren wollte, mußte er den Arglosen spielen, fand ich seine Reaktion nicht einmal überraschend, das Erstaunen, von dem er sprach, als wüßte er jetzt noch immer nicht genau, ob er alles so unschuldig nehmen sollte, wie es sich gab, oder ob genau darin die Durchtriebenheit lag.
    Jedenfalls dürfte er sich sofort auf den Weg gemacht haben, kaum daß ihm die Nachricht unter die Augen gekommen war, und mir fiel nichts Besseres ein, als ihn zu fragen, ob es geschneit hatte.
    »Ich fürchte, ich muß dich enttäuschen«, entgegnete er und verschanzte sich gleich wieder hinter einem Lachen. »Ganz so dramatisch, wie du es dir vorstellst, ist es dann auch nicht gewesen.«
    Er verstummte abrupt, und ich ärgerte mich, daß ich ihn gebeten hatte, nicht zu rauchen. Wahrscheinlich wäre mir sonst wenigstens der Blick erspart

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