Das Handwerk des Toetens
geschenkt bekommen haben.
»Kannst du dir das vorstellen?«
Es sollte wohl ein verächtliches Zischen sein, das darauf folgte, aber Paul keuchte nur und starrte auf die Hecklichter des vor uns stehenden Wagens, deren Schein auf der Windschutzscheibe zu ausgefransten roten Flecken zerrann.
»Es kann ihnen nicht entgangen sein, mit welchen Leuten sie es zu tun gehabt haben«, sagte er. »Vielleicht wären sie besser beraten gewesen, sich nicht mir nichts, dir nichts in ihre Hände zu begeben.«
Das mochte richtig sein, aber ganz so einfach war es nicht.
»Haben nicht alle anderen auch ihre Schweinereien gehabt?«
Die Frage mußte natürlich naiv klingen.
»Es geht um eine prinzipielle Entscheidung«, hakte ich daher gleich nach. »Genaugenommen wäre es nämlich richtig, mit überhaupt niemandem zu paktieren.«
Ich hatte schärferen Widerstand erwartet, aber er griff nur das Wort auf, sprach es wie etwas Zerbrechliches aus und wies es zurück.
»Selbstverständlich kann man das so sehen«, sagte er dann, ohne daß die Weichheit aus seiner Stimme verschwunden wäre. »Doch wenn alle schuld sind, ist es am Ende keiner mehr, und damit steht man wieder ganz am Anfang.«
Plötzlich war es nicht nur seine Besserwisserei, die mich verunsicherte, sondern mehr noch die Tatsache, daß er wieder von seinem Roman zu sprechen begann und wissen wollte, was ich davon hielte, wenn er über eine Gruppe von Rekruten schriebe, die sich noch am letzten Tag aus der belagerten Stadt hinausgewagt hatten und nach einem schrecklichen dreitägigen Umherirren schließlich auf eigenem Territorium gelandet waren. Ich konnte es nicht mehr mitanhören, wie er sich genüßlich ihre Strapazen ausmalte, ihr Vordringen im Dunkeln, ihr lautloses Umgehen der feindlichen Stellungen, oder wie sie tagsüber, in einem Gebüsch versteckt, gewartet hatten, bis die Sonne unterging, so viel Freude schien er daran zu haben, als handelte es sich um ein harmloses Spiel, bei dem die Toten jederzeit sagen konnten, daß sie genug davon hätten und irgendwer anderer ihre Rolle einnehmen sollte. Fast kam es mir so vor, als dächte er selbst in Fernsehbildern, als würde er sie in Großaufnahme vor sich sehen, wenn er davon erzählte, wie die Kolonne im Morgengrauen, von den dort stationierten Gardisten beklatscht, ein trauriges Nest erreicht hatte, in Trance dahintrottende, bis auf die Haut durchnäßte Figuren, die sich kaum mehr auf den Beinen zu halten vermochten, die am Leben gebliebenen zwei oder drei Dutzend von den ehemals weit über hundert Gleichaltrigen, die ein paar Monate davor mit ihnen in den Krieg gezogen waren, und sie hätten alle geweint und nicht die geringsten Anstalten gemacht, ihre Gesichter zu verbergen, korkgeschwärzte und doch leichenblaß wirkende Masken.
Es war sichtlich auf Effekt bedacht, wie er darüber sprach, und ich fragte ihn spöttisch, ob er keine Angst hatte, eine für Pädagoginnen verträgliche Version des Landserromans zu produzieren, wenn er sich davon so sehr faszinieren ließ. Ob er es hören wollte oder nicht, die weinenden Rekruten waren für mich nur kaum kaschierte Abbilder all der eisernen Kameraden aus einer noch nicht so lange vergangenen Zeit, die ihre Angst, ihren Schrecken und ihre Einsamkeit bis zum Erbrechen in sich hineingefressen hatten. Schließlich ging es dabei doch wieder einzig und allein um Helden, sagte ich mir, und weil ihre alten Stärken ein wenig angestaubt wirkten, machte er es sich leicht, vertauschte einfach die Vorzeichen und zeigte stolz, wie schwach sie eigentlich waren.
Da half es wenig, wenn er beteuerte, es sei alles keine Erfindung von ihm, sondern tatsächlich geschehen und von Allmayer in einer seiner besten Reportagen als erschütterndes Beispiel für die Grausamkeit des Krieges herangezogen worden.
Ich glaubte, nicht richtig zu hören, wie er das sagte, so schablonenhaft war es, und als er fortfuhr, ich würde nicht verstehen, was er meinte, gab ich ihm recht.
»Mir gefällt die Art nicht, wie wir darüber sprechen«, versuchte ich, meine Bedenken zu erklären. »Für mich hat es etwas Hyänenhaftes.«
Er winkte sofort ab, aber ich ließ mich nicht bremsen.
»Was meinst du, welche Rolle dabei die Wirklichkeit spielt?«
Obwohl es auf der Hand lag, sprach ich es aus.
»Sie ist natürlich das Aas.«
Damals war es noch ein vages Befremden, das ich damit zum Ausdruck bringen wollte, ein Unbehagen, das mir richtig klar wird, seit ich Bilder von Vukovar aus der Zeit vor der
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