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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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hinzuprusten.
    »Dazu ist seine Vertriebenengeschichte gekommen, die er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit erzählt hat, um auf das Unrecht hinzuweisen, das seinen Eltern widerfahren sein soll.«
    Es ging angeblich immer mit den rohen Daten los, der Vater in Vinkovci geboren, die Mutter irgendwo jenseits der Donau, in der Bačka, aber gestorben waren sie beide in Deutschland. Dann ließen sich die wichtigsten Stationen dazwischen leicht aufzählen, der Angriff der Hakenkreuz-Bomber auf Belgrad am 6. April 1941, mit dem auch für sie der Krieg angefangen hatte, obwohl sie damals fast noch Kinder gewesen waren, und als Folge davon ihr weiteres Schicksal, seine Gefangenschaft in einer ganzen Reihe von Partisanenlagern bis zu seiner Flucht, ihre Verschleppung nach Rußland durch die Rote Armee, von der sie erst Ende der vierziger Jahre in die sowjetische Besatzungszone entlassen worden war. Kennengelernt hatten sie sich bei einer fälschlich so genannten Heimkehrerveranstaltung, mitten im beginnenden Wirtschaftswunder, er schlaflos und mit einer geradezu panischen Angst vor der Dunkelheit, sie auf achtunddreißig Kilo abgemagert, knapp dem Hunger und dem Typhus entronnen, ein Schatten ihrer selbst, und unerklärbar war vielleicht nur, wie sie unter solchen Umständen innerhalb von ein paar Wochen übereinkommen konnten, es miteinander versuchen zu wollen.
    Das war der Hintergrund, vor dem sich Schreyvogel als eine Art posthumer Rächer und Verteidiger seiner Familie gerierte, sagte Paul, um sich dann gleich über die Ressentiments auszulassen, die der Boden dafür waren. Obwohl er ihn nie selbst zu Gesicht bekommen hatte, sprach er von seiner unangenehmen Erscheinung und warf ihm vor, er sei aufgetreten, als habe er das Recht, die Geschichte so zu interpretieren, wie er es gerade brauchte. Am meisten verteufelte er ihn dafür, daß er sich bei den neuen Herren in Zagreb angeblich angedient hatte, in der Hoffnung, er würde durch sie den Familienbesitz zurückbekommen, sobald der Krieg vorbei war, eine nach all den Jahrzehnten wahrscheinlich längst vom Erdboden verschwundene Kleinkeuschlerei mit nicht mehr als vier oder fünf Hektar Dreck und Schlamm im umkämpften Niemandsland, für die er einmal unter Pseudonym, einmal unter eigenem Namen in den obskursten katholischen Publikationen wüste antiserbische Hetzartikel schrieb.
    »Für ihn hat die Geschichte mit dem Schicksal seines Vaters und seiner Mutter begonnen«, sagte er. »Was davor gewesen ist, scheint ihn nicht interessiert zu haben.«
    Das kam so unverrückbar daher, daß ich nichts erwidern konnte, bis mir schließlich einfiel, ihn wenigstens nach den Großeltern zu fragen.
    »Weißt du etwas über sie?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Das gehört zu den dunklen Kapiteln der Familie.« Er schien selbst zu hören, wie verdruckst das klang.
    »Man tut ihnen sicher nicht unrecht, wenn man annimmt, daß sie eher reichsfreundlich gewesen sind«, sagte er. »Alles andere würde bei ihrem Hintergrund einem Wunder gleichkommen.«
    Ich fragte nicht weiter, so beengt fühlte ich mich auf einmal, neben ihm sitzen zu müssen und nicht einfach weggehen zu können. Es war noch immer keine Bewegung in die wartenden Wagen gekommen, und während sich auf der leeren Gegenfahrbahn ein Feuerwehrauto, gespenstisch lautlos im eigenen Blaulicht, an der Kolonne vorbeischob, wurde ich das Gefühl nicht los, er könnte aus Angst, auf unsicheres Terrain zu geraten, nur dahergeredet haben. So recht er mit seiner Meinung wahrscheinlich hatte, bekam sie ohne einen Beleg etwas von einer Pflichtübung, aber ich war zu müde, solche Feinheiten mit ihm abzuschmecken, und schaute, ohne auf ihn zu achten, in das Blätterdach über der Straße, aus dem es unentwegt tropfte, obwohl der Regen merklich nachgelassen hatte.
    Es war seine bloße Anwesenheit, die mich störte, und als er sich wieder eine Zigarette anzünden wollte, bat ich ihn, es zu lassen, und kam mir wie ein Idiot vor, während er noch einmal über den Abend sprach, den seine Frau mit Allmayer und diesem Verrückten verbracht hatte, und sich dabei in einem fort räusperte, so löchrig war seine Stimme.
    »Es muß furchtbar für sie gewesen sein«, fing er ein ums andere Mal an. »Sie hat später immer nur mit einem kaum verhohlenen Ekel darüber geredet.«
    Ich konnte mir nicht helfen, auf mich wirkte die Figur ein bißchen plakativ, der bis tief in die Nacht vor sich hinzeternde Schreyvogel, der Allmayer nicht zu Wort

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