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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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sich gleichzeitig ganz und gar unbeeindruckt davon gab.
    »Selbstverständlich habe ich so getan, als würde ich es nicht wahrnehmen«, versuchte er, sich noch einmal darüber lustig zu machen. »Dabei ist mir von weitem schon klar gewesen, daß es nur mehr ein fahrender Schrotthaufen war.«
    Das amüsierte ihn immer noch, und ich erinnere mich, wie er lachte, als hätte er den Anblick wieder im Rückspiegel, den sich dicht hinter ihm haltenden Kerl in seiner absurden Karosse, der anscheinend während der ganzen Fahrt eine brennende Zigarette im Mund gehabt hatte und von Zeit zu Zeit zum Überholen ansetzte, dann aber jedesmal von neuem nur eine kurze Strecke gleichauf blieb und sich winkend wieder zurückfallen ließ.
    »Er hat offensichtlich geglaubt, den Clown spielen zu müssen«, sagte er. »Anders ist sein Gezappel nicht zu erklären.«
    Das hatte ein Ende, als ihr Weg sich trennte und er nach Wien abbog, und dann war Paul mit seiner Frau allein, sei in die Winternacht gefahren und habe auf das Geräusch der Reifen auf dem Asphalt gelauscht und die Stille, die sich dahinter wieder über der fast leeren Autobahn schloß. Er stellte keine Fragen, hatte eine geradezu abergläubische Angst, damit etwas heraufzubeschwören, das sich im Verborgenen hielt, solange er schwieg, und versuchte nicht, sie zu berühren, nach ihrer Hand zu fassen oder einen Arm um ihre Schultern zu legen, wie er es sonst immer getan hatte, sei nur froh gewesen, daß sie da war und er sie, dieses eine Mal, nach Hause bringen konnte. Wie wenn der Lichtkegel einen Pfad in das Nichts gebahnt hätte, so habe er sich vor der auf beiden Seiten zurückweichenden Dunkelheit gefühlt, und als im Fond einmal der Hund aufstand und lange stehen blieb und schaute und weder er noch sie ihm befahl, sich wieder hinzulegen, kam er nach vorn und stupste sie beide mit seiner Schnauze an, als müßte er sich vergewissern, ob sie überhaupt noch existierten.
    Da war sie wieder, die Rührung, als Paul plötzlich doch lamentierte, für ihn seien das womöglich, ohne daß er es wissen konnte, die letzten Augenblicke vollkommenen Einverständnisses mit ihr geworden, und von da an habe schleichend die Trennung begonnen.
    »Am liebsten wäre mir gewesen, gar nicht anzukommen«, sagte er, und erst als er weitersprach, war klar, daß er damit nichts Mystisches meinte. »Ich bin immer langsamer gefahren, um so viel Zeit wie möglich herauszuschinden.«
    Dann folgte einer seiner Sätze, die allein dadurch, wie er die Pausen wählte, eine Bedeutung bekamen, die sie eigentlich nicht hatten.
    »Vielleicht habe ich trotzdem zu wenig aufgepaßt.«
    Es lag mir auf der Zunge, etwas zu erwidern, bis ich sah, daß er den Blick von neuem auf seine Hände richtete, eine Angewohnheit, die eher zu einem älteren Mann gepaßt hätte als zu einem wie ihm. Zuerst dachte ich, es sei ein Schauspiel für mich, als er sich mit gespreizten Fingern durchs Haar fuhr und dann seine Augen rieb, aber ich brauchte nur auf seine spröde Stimme zu lauschen, um zu wissen, daß er gar nicht darauf achtete. Er wirkte müde und hatte längst nichts mehr von dem geradezu sprudelnden Spund, der sich nicht zurückzuhalten vermocht hatte, mir noch dies und das von seiner großen Liebe zu erzählen, als er über Helena sprach, im Gegenteil, er schien sich mit dem Gedanken an seine Frau einer völligen Vergeblichkeit hingegeben zu haben, obwohl er sich auch da in die scheinbar unwichtigsten Details verbiß.
    »Ich weiß noch genau, daß sie einen schwarzen, über die Ohren herunterreichenden Hut ohne Krempe aufgehabt hat«, sagte er, als ließe sich davon kein einziges Wort mehr verrücken. »Dadurch ist ihr Gesicht in der Dunkelheit ganz bleich gewesen, und von allen Bildern, die ich von ihr habe, scheint sich ausgerechnet das am unversehrtesten zu halten.«
    Es war die Verlorenheit einzelner Erinnerungen, die keinen Zusammenhang mehr hatten, der Rest ein Phantomschmerz, über den er sich selbst nicht richtig im klaren zu sein schien, aber bevor er immer tiefer darin versank, fragte ich ihn, ob Allmayer danach noch zu Besuch gekommen war.
    »Vielleicht zwei- oder dreimal.«
    Das sagte er auffallend zögerlich.
    »Es war sicher nicht öfter«, fing er dann von neuem an. »Zuletzt muß es knapp vor Beginn der Belagerung von Sarajevo gewesen sein.«
    Ich dachte schon, er würde sich eingehender darüber auslassen, aber er beschränkte sich darauf, anzumerken, daß das Anfang April war, und danach seien ihnen

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