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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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umgestürzte Baum auftauchte und er sich aus dem Fenster lehnte, um besser zu sehen, wie die zwei Feuerwehrmänner, die sich an ihm zu schaffen machten, die größten Äste absägten, hörte er nicht auf zu reden. Ob das Absicht war oder nicht, es wirkte allein schon dadurch beiläufig auf mich, wie er dann ansatzlos von den paar Malen zu sprechen begann, wo einzelne Flugzeuge sich über dem Kampfgebiet verirrt hatten und in den österreichischen Luftraum vorgedrungen waren, bei mindestens einer Gelegenheit sogar eines bis über die Dächer von Graz, und was für eine Erregung ihn immer gepackt hatte, wenn es am Tag darauf in den Zeitungen gestanden war, was für eine schreckliche Hoffnung, aus seiner Lethargie herausgerissen zu werden.
    Für mich war das so eindeutig, daß ich nicht umhin konnte, ihn zu fragen, ob er sich gewünscht hatte, es möge endlich auch bei uns etwas passieren, aber so, wie er darauf reagierte, schien er überrumpelt zu sein.
    »Um Himmels willen.«
    Seine Stimme klang schrill.
    »Das sagst du nur, um mich aus der Reserve zu locken«, platzte er heraus. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß du es ernst meinst.«
    Ohne weiter darauf einzugehen, erzählte er dann, daß er damals wochenlang nichts anderes getan hatte, als den Hund spazieren zu führen, vom Haus in Eggenberg bis zum Schloß, das es dort gab, und wieder zurück, aber je mehr er darüber sprach, um so weniger wurde ich schlau aus ihm. Seit Kriegsbeginn hatte er keine Zeile geschrieben, und wenn er jetzt darauf bestand, daß das kein Schaden war, wußte ich nicht, ob er sich von mir Widerspruch erwartete oder nicht, und horchte erst wirklich auf, als er sagte, so beunruhigend das sonst immer für ihn gewesen war, auf einmal spielte es keine Rolle mehr, geradeso, als sei ihm allein schon durch die Umstände ein Freibrief für sein Scheitern erteilt. Es war pathetisch, wie er es rechtfertigte, aber ich ließ ihn reden, auch wenn ich dabei den Eindruck nicht los wurde, daß er sich nur aus dem Strudel herauszuwinden versuchte, in den er sich so ungeschickt hineinmanövriert hatte.
    Obwohl es mir eigentlich längst reichte, schlug ich ihm vor, noch auf ein Bier nach St. Pauli zu fahren, und wir waren schon auf der Palmaille, als er plötzlich noch einmal damit begann, was für ein merkwürdiger Ausflug es gewesen war, den seine Frau mit Allmayer unternommen hatte. Er schaute hinaus in den Himmel, der jäh aufgerissen war, ein Flickwerk von winzigen Wolken über den Dächern, ein Bild wie nach einem gigantischen Feuerwerk, und vielleicht lag es an seinem geradezu beseelten Blick, daß es mir einen viel zu harmlosen Eindruck machte, wie er sich über die beiden ausließ. Er schien den Atem immer wieder anzuhalten und erst nach einer Weile auszustoßen, als er erzählte, mit welcher Herzlichkeit sie ihn empfangen hatten, kaum war er in Schladming angekommen, auch wenn das nur klang, als wäre er ein Fremder für sie gewesen, und ich nicht wußte, ob er es ernst meinte oder ob er sich damit über sich selbst lustig machte. Falls es stimmte, war mir unverständlich, daß er sich nicht im geringsten aufgeregt hatte, als er sie zusammen sah, nur traurig war und dachte, wie ungeschickt sie wirkten, wie überdreht, wie läppisch überhaupt das ganze Theater zwischen Mann und Frau, sobald man einmal als Außenstehender zugeschaut hatte.
    Das schienen mir zu viele Schutzbehauptungen hintereinander zu sein, und ich war froh, als er dann sagte, daß er Allmayer in dieser Situation natürlich nicht gefragt hatte, woher er gerade komme.
    »Ich habe mit ihm kein Wort über Vinkovci oder das Interview gesprochen, das er dort geführt hat«, setzte er nach, als wäre nicht klar, was er meinte. »Das muß mir meine Frau alles erst viel später erzählt haben.«
    Es war nicht viel, worüber sie sich miteinander unterhalten hatten, eine halbe Stunde in einem Café, lauter Belanglosigkeiten, bis keine Rede mehr gewesen war von noch einen Tag bleiben, und sie seien zurückgefahren, er mit seiner Frau voraus und Allmayer hinter ihnen her, sein Auto sichtlich noch mehr mitgenommen, als es davor war, mit Dellen geradezu übersät, und anstelle der beiden hinteren Seitenfenster hatte es zwei grob eingepaßte Pappkartons, die mit einem breiten Band auf das Blech geklebt waren.
    Vielleicht täusche ich mich, aber allein schon daran, wie Paul es beschrieb, glaubte ich von neuem, Bewunderung in seiner Stimme mitschwingen zu hören, und das um so mehr, als er

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