Das Handwerk des Toetens
Geschäftsreisen erzählte und sich darüber lustig machte, war genug, daß ich meine Zweifel auf der Stelle vergaß und ihr an den Lippen hing, achtgeben mußte, sie nicht merken zu lassen, wie sehr ich ihr schon wieder von einem Augenblick auf den anderen verfallen war.
»Wenn du wüßtest, mit was für Leuten ich die ganze Zeit zusammenkomme«, ereiferte sie sich. »Sie haben für alles ein Rezept parat und nicht deine ewige Skepsis.«
Ich hörte zum ersten Mal, daß sie sich Gedanken über mich machte. Es war mir nicht klar, ob das Urteil in ihren Augen für mich sprach oder nicht, aber als ich nachhakte, winkte sie ab. Dann sagte sie, sie wolle auf etwas anders hinaus, und ich dachte schon, ich hätte alles verdorben, obwohl sie das Mißverständnis gleich aufklärte.
»Als noch Krieg gewesen ist, hat mich eine Kundin immer gefragt, was man meiner Meinung nach mit den verfeindeten Parteien tun sollte, und natürlich selbst gleich die Antwort darauf gegeben.«
Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie es aussprach, als wäre ihr noch immer nicht klar, wie jemand auf eine solche Idee kommen konnte.
»Ausbluten lassen, meine Liebe, ausbluten lassen.«
Ich sah sie an, und sie bekräftigte es.
»Das hat sie ein ums andere Mal gesagt und dann mit einem flehentlichen Blick Richtung Himmel gestöhnt, ein so schönes Land und so unvernünftige Menschen.«
Ich weiß noch, daß sie das Haar hochgesteckt hatte und ihre Augen dadurch heller wirkten, als sie mir in Erinnerung waren. Der freie Nacken machte sie verletzlich, mit seiner fast durchscheinend weißen Haut, nackter, und es ist mir noch immer nicht klar, warum, aber wenn ich länger darauf starrte, war ich unangenehm berührt und konnte mich trotzdem nur schwer davon losreißen. Es war, als hätte ich gerade erst ihre Sterblichkeit entdeckt und suchte nach einer Bestätigung dafür, daß ich mich täuschte, wenn ich verlegen auf ihre Hände schaute und meinen Blick dort unverfänglich zu fixieren versuchte, auf den Ring mit seinem schwarz schimmerndem Stein an ihrem Mittelfinger und den Armreif, der ihr ganz nach vorn gerutscht war und in einem grotesken Winkel im Handgelenk stand.
Das erste, was sie bei meinem Eintreten getan hatte, war, mich durch die ganze Wohnung zu führen, alle Türen zu öffnen und mit ausgestrecktem Arm davor stehen zu bleiben.
»Schau dich nur um.«
Es war ein Spiel, das mir erst allmählich klar wurde.
»Mach ruhig die Schränke auf, wenn du willst«, sagte sie, aber ihre Stimme schien weniger forsch zu sein, als sie sich gab, wenn sie wieder und wieder damit anfing. »Wirf einen Blick unter das Bett, durchsuch die Koffer, damit du nichts übersiehst, und vergiß den Balkon nicht.«
Sie wartete darauf, daß ich wenigstens so tat, als würde ich ihrem Drängen nachgeben, und lieferte dann erst die Erklärung, stieß sie voller Verachtung hervor.
»Vielleicht findest du ja eine Schachbrettfahne.«
Ich verstand sie noch immer nicht ganz und sah sie nur an, und erst als sie Allmayer direkt erwähnte, wußte ich, worauf sie anspielte, und versuchte, sie zu beschwichtigen, aber das war nicht so einfach.
»Was habe ich ihm getan, daß er sich erlaubt, mich wie eine Kriminelle hinzustellen, nur weil ich keine anderen Eltern vorweisen kann?«
Das vermochte ich ihr auch nicht zu erklären.
»Seinetwegen lohnt sich doch die Aufregung nicht«, war alles, was mir einfiel. »Er hat sich nur vor dir aufplustern wollen und dabei lauter Dummheiten verzapft.«
Sie ging darüber hinweg, aber später, als wir gegessen hatten und zusammen auf dem Sofa im Wohnzimmer saßen, konnte sie es nicht lassen und gab immer wieder einen Kommentar dazu ab, kam stets von neuem darauf zurück, während ich in dem Bildband herumblätterte, den sie mir in die Hand gedrückt hatte, ein großformatiges Ding mit dem Titel Traumstraßen in Jugoslawien . Da war es noch einmal, das Land, erkundbar auf den unterschiedlichsten Routen, angefangen mit den schneebedeckten Bergen im Norden bis hin zu einer Marktszene im Süden, mit feztragenden, kaffeetrinkenden Männern, die ganze Folklore, von den Storchennestern irgendwo in Slawonien bis zu einer melancholischen Abendstimmung an einem See an der albanischen Grenze, aber obwohl ich es mochte, wenn sie einen Ort wiedererkannte oder bemerkte, daß sie einmal dort gewesen war oder irgendwann hinwollte, blieb für mich am ganzen Buch das einzig wirklich Interessante sein Erscheinungsdatum. Ich hatte es zuerst gar nicht
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