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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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garantiert zu spät im Büro war, und konnte nicht genug von ihrer Gesellschaft kriegen, hörte ihnen zu und erzählte selbst mehr, als sie es sonst jemals getan hatte, redete und redete, überrascht, wie leicht die Worte kamen und wie ruhig und selbstgewiß die Sprache sie machte.
    Das sei es wahrscheinlich auch gewesen, was sie immer weiter von ihrem Mann weggebracht hatte, obwohl er sich ganz besonders um die beiden bemüht habe, ihr täglicher Umgang mit ihnen und die Art, wie er sie einlud, sich wie zu Hause zu fühlen, wie er in der riesigen Wohnung überall die Flügeltüren sperrangelweit öffnete und gleich am ersten Abend den besten Wein aus dem Keller holte, ihnen einschenkte und darauf wartete, daß sie ein Urteil abgaben, als hätten sie sonst keine Sorgen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob es wirklich etwas Gönnerhaftes hatte oder ob ihr die bloße Möglichkeit reichte, weil bei allem, was er tat, unübersehbar war, daß er aus besseren Kreisen stammte, aber von einem Punkt an habe er für sie keine andere Rolle mehr gehabt, sei es ihr einerseits selbstverständlich, andererseits übertrieben vorgekommen, wenn er immer mit großer Geste hervorhob, daß sie zu seinen Sachen freien Zugang hatten. Ihr schien es, als behandelte er sie wie bedürftige Verwandte, und wenn sie ihm dafür auch noch dankten, ihn bewundernd ansahen oder geradezu aufblickten zu ihm, nur weil er sündteure Anzüge und Krawatten trug und ein Auto hatte, von dem sie nicht einmal zu träumen wagten, habe sie nicht anders können, als sich selbst in ihnen zu sehen, mochte ihr das gefallen oder nicht.
    Ohne weiter darüber nachzudenken, wehrte sie in der Zeit all seine Vorstöße ab und fand es aberwitzig, wenn er ihr vorschlug, mit ihm ein paar Tage nach Sylt zu fahren, obwohl sie gleich nach ihrer Hochzeit manchmal Wochenende für Wochenende dort gewesen waren. Es brauchte keinen Streit, nur Kleinigkeiten, winzige Mißverständnisse, die früher wenig Bedeutung gehabt hätten, die sie jetzt aber vor dem Hintergrund ihrer anderen Herkunft sah, angefangen mit seinen Geschenken, als er ihr den Hof gemacht hatte, den Parfumflakons, der Seidenunterwäsche oder den Überraschungsnächten in den feinsten Hotels, Aufmerksamkeiten für eine Art Dame, die sie nicht war und auch gar nicht sein wollte. Alles, was sie vorher nur peinlich berührt hatte, verursachte ihr auf einmal Abscheu, und sie sagte sich, es war nicht ihr Leben, an der Seite eines frühvergreisten Bübchens alt zu werden, so sehr hatte sie es geschmerzt, ihn wie einen Fremden in seiner eigenen Wohnung zu empfinden, als sie einmal mit ihren beiden Cousins erst im Morgengrauen von einem Konzert in der Danziger Straße zurückkam und er allein am Küchentisch gesessen war und mit den zwei leeren Weinflaschen, die vor ihm standen, ein ganz und gar verlorenes Bild abgegeben hatte.
    Angeblich war das am Tag nach dem Fall von Vukovar gewesen, ein hitziger Abend, immer kurz vor dem Umkippen in ein Desaster, mit Musikern von Brač, die trotz der anhaltenden Blockade die Insel hatten verlassen können, und sie vermochte sich kaum etwas Absurderes vorzustellen als seine stillschweigende Anwesenheit.
    »Als ich ihn halb im Dunkeln, halb im Licht sitzend gesehen habe, hätte er für mich zu einer anderen Gattung gehören können«, sagte sie, ohne zu verbergen, wie sehr es sie gleichzeitig rührte, daran zu denken. »Es war sicher auch der Gegensatz zu dem Trubel, aus dem ich gerade gekommen bin, daß er mir wie ein Ausgestorbener erschienen ist.«
    Dann fuhr sie fort, es möge abgedroschen klingen, aber es lag nicht an ihm, es war der Krieg gewesen, der ihre Ehe zerstört hatte, und ich wußte nicht, was ich erwidern sollte, und flüchtete mich in die elendste Konversation.
    »Wie ist es dann zum Bruch gekommen?«
    Ihre Reaktion war pure Ratlosigkeit.
    »Das frage ich mich auch manchmal«, sagte sie, und ihre Stimme klang müde. »Ich kann immer noch nicht verstehen, daß es nichts Spektakuläres gewesen ist.«
    Auf einmal wirkte sie ganz in sich versunken, und sie sprach die Worte mit einer Verwunderung aus, als könnte sie nicht recht glauben, daß sie eine Bedeutung hatten.
    »Ich habe ihm einfach gesagt, ich gehöre nicht hierher.«
    Es muß an einem Wochenende geschehen sein, und sie waren spät beim Frühstück gesessen, die beiden Cousins schon aus dem Haus, als er wissen wollte, was mit ihr los war, weil sie kaum etwas angerührt hatte.
    »Genaugenommen habe ich ihm ausweichen

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