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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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auch wenn sie zuerst noch zu zögern schien, ging es in Wirklichkeit schon mit ihr durch.
    »Das Erwachen muß für viele dann äußerst ernüchternd gewesen sein«, fuhr sie fort. »Während ihr Leben nämlich eine einzige Plackerei geblieben ist, sind die ersten Deutschen wieder als Urlauber an den Stränden in Dalmatien aufgetaucht, und die dürften kaum ausgesehen haben wie die Verlierer.«
    Ich hatte nicht darauf geachtet, aber ihr Ton war immer bitterer geworden, und als sie nach einer Pause noch einmal loslegte, klang es schneidend, ihre Stimme, wie ich sie noch nie gehört hatte.
    »Auf jeden Fall haben sie sich von ihnen sofort wieder zu den Dienstboten und Lakaien machen lassen, die sie für sie immer schon waren.«
    So sehr sie sich aufgeregt hatte, so plötzlich brach sie ab. Ohne daß es ihr wirklich gelang, versuchte sie, ihre Erregung zu verbergen, sie atmete kaum hörbar ein und aus und verfiel dann doch in ein unterdrücktes Keuchen. Es schien ihr unangenehm zu sein, daß sie sich so weit vorgewagt hatte, und deswegen entschuldigte sie sich schließlich auch in einer vertrackten Weise.
    »Diese ganzen Geschichten können dich doch unmöglich interessieren«, sagte sie. »Sie müssen dir wie aus einer anderen Welt vorkommen, mit der du nichts zu tun hast.«
    Es nützte wenig, daß ich protestierte, von da an war sie schweigsam, und der Rest des Abends ist mir nur mehr in Splittern in Erinnerung, ohne daß ich wüßte, ob das daher rührte oder ob es am Wein lag, den wir getrunken hatten. Ich weiß noch, daß ich irgendwann später am Fenster gestanden bin und hinausgeschaut habe auf die Hochtrasse der U-Bahn, die zwischen den Bäumen hindurch gerade noch zu sehen war und auf der sich in der hereinbrechenden Dunkelheit die hell erleuchteten Züge vorbeischoben, während sie sich an der Musikanlage zu schaffen machte und dann zu mir trat und so dicht hinter mir stehen blieb, daß ich einen Augenblick ihren Atem in meinem Nacken zu spüren glaubte. Ich hätte mich nur umdrehen müssen und sie in den Arm nehmen und küssen, aber ich tat es nicht und hatte im nachhinein, wenn ich mich fragte, warum, keine bessere Erklärung dafür, als daß ich sie mochte, auch wenn das noch so verschroben klingen mag und wahrscheinlich nicht einmal stimmt.
    Mir fiel erst danach auf, daß wir Paul die ganze Zeit nicht erwähnt hatten, und vielleicht war es deshalb, daß sie das nächste Mal, als wir uns sahen, wieder nicht aufhören wollte, von ihm zu sprechen. Ich war noch gar nicht zu Wort gekommen, während sie schon erzählte, daß er ziemlich unleidlich gewesen war, als sie ihn unlängst besucht hatte, und überhaupt um so weniger erträglich wurde, je besser er sich körperlich fühlte. Dann redete sie einfach auf mich ein, daß sie ihm manchmal nichts recht machen konnte, wie sie sagte, sich fragen lassen mußte, ob sie glaube, er sei dazu selbst nicht imstande, wenn sie ihm beim Anziehen half oder sich nur ungebeten bückte, um seine Schuhe zu binden, und die heftigsten Reaktionen auf sich zog, richtige Tobsuchtsanfälle auslöste, sobald er nur den Verdacht hegte, sie könnte an seinem Erinnerungsvermögen zweifeln, könnte ihn noch mit den unschuldigsten Fragen testen wollen, in welchem Jahr genau er Allmayer eigentlich kennengelernt hatte, was am Vortag in der Zeitung gestanden sein mochte, oder ähnlichen Belanglosigkeiten.
    Es war nur wenige Tage nach dem Essen bei ihr, eine Stunde über Mittag in der Nähe ihrer Firma, und sie entschuldigte sich immer wieder, sie habe da zu viel geredet, auch wenn ich ihr in einem fort widersprach. Sofern mich mein Eindruck nicht täuschte, war von Anfang an etwas an ihr anders als sonst, sie erschien mir reservierter, aber als ich sie fragte, was mit ihr los sei, sagte sie, nichts, obwohl ihr Lächeln dann nicht unbedingt überzeugend wirkte, nicht spöttisch zwar, wie ich zuerst gedacht hatte, doch auf eine Weise gequält, als hätte sie sich genau das erwartet. Am Ende war sie froh, gehen zu können, und ich blieb sitzen und schaute ihr zu, wie sie draußen auf das Taxi wartete, das sie bestellt hatte, auf dem Gehsteig ein paar Schritte vor und wieder zurück lief und schließlich mit verschränkten Armen stehen blieb, eine Fremde, wie ich sie im Halbprofil sah, von der ich mir kaum vorzustellen vermochte, daß ich gerade noch mit ihr gesprochen hatte.
    Daran änderte sich nichts mehr, und wie auch immer ich es mir später schönredete, alle weiteren Treffen wirkten auf

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