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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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wollen und erst, als er weitergebohrt hat, nach einer Erklärung gesucht und keine bessere gefunden«, nahm sie einen neuen Anlauf. »Dabei war es ein Augenblick, in dem ich zufrieden gewesen bin und gar nicht daran gedacht habe, mich zu beklagen.«
    Ich hatte nicht gemerkt, daß wir aussteigen mußten, und hätte sie mich nicht darauf aufmerksam gemacht, es wäre mir auch recht gewesen, den ganzen Nachmittag an Bord zu bleiben. Es war mir entgangen, daß wir noch zweimal angelegt hatten, ohne daß weitere Leute dazugekommen wären, so sehr war ich auf ihre Geschichte fixiert gewesen, die beiden Gestalten in den Regenüberzügen mußten irgendwohin entschwunden sein, unwirklich geschlechtslos und unsichtbar unter ihrem durchsichtigen Plastik, und wir waren wieder allein, standen schon draußen auf dem Steg, als sie mir einen Augenblick eine Hand auf die Schulter legte und ich mich nicht zu rühren wagte, um die Selbstverständlichkeit der Geste nicht zu zerstören, obwohl ich es natürlich gerade damit tat. Wir warteten, bis das Boot sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, und dann spazierte ich mit ihr durch das immer gleich verschlafene Harvestehude, wo die Straßen vom Regen noch naß und voller Blätter waren, der Wind tatsächlich in den Bäumen rauschte wie vor Hunderten von Jahren und in den menschenleeren Alleen die nach hinten versetzten Häuser noch weiter weggerückt schienen als an anderen Tagen und allein dadurch etwas Märchenhaftes hatten, schön und schrecklich zugleich.
    Ohne daß ich wüßte, warum, hatte ich nicht weitergefragt, und auch sie war plötzlich schweigsam, als wäre es ihr unangenehm, so viel von sich preisgegeben zu haben. Es war ihr Vorschlag gewesen, am Innocentiapark vorbeizugehen und mir zu zeigen, wo sie damals gewohnt hatte, doch obwohl das fast auf dem Weg lag, vertröstete sie mich jetzt auf ein anderes Mal. Wahrscheinlich hatte ich sie durch meine Neugier abgeschreckt, aber ich begleitete sie trotzdem bis vor ihre Haustür und rief sie gleich an, kaum daß ich eine Stunde später selber heimgekommen war. Ich hörte sie hallo sagen, und dann ihren Atem, und versuchte mir vorzustellen, wie sie mit dem Telephon am Fenster stand und, einen Arm um den Bauch geschlungen, hinausschaute in den Himmel, der allmählich aufklarte, fast farblos hell und immer durchsichtiger wurde. Dabei schien sich die Stille jedesmal zu vergrößern, wenn sie beinahe geräuschlos Luft holte, immer weiter auszudehnen, ehe ich auflegte, und als ich es noch einmal versuchte, lief der Anrufbeantworter, ihre Stimme klang formeller, als ich sie kannte, geschäftlicher, und sie wiederholte nur ihre Nummer, nichts darüber hinaus, keinen Namen und auch sonst keine Ansage.
    Nicht daß ich Paul vergessen hatte, aber ich war enttäuscht, als ich sie zwei oder drei Tage später endlich wieder erreichte und sie ohne viel Umschweife auf ihn zu reden kam. Ich hatte es noch ein paar Mal vergeblich bei ihr zu Hause versucht und dann ihre mobile Nummer herausgefunden, und sie war für ihre Firma unterwegs und hatte nur kurz Zeit und trotzdem nichts Besseres zu tun, als die Neuigkeiten, die es von ihm gab, bis ins kleinste Detail vor mir auszubreiten. Dabei hätte ich alles andere hören wollen, als daß sie gerade mit ihm gesprochen hatte, oder die Platitüden, wie zuversichtlich er war, voller Hoffnung, die folgenden Wochenenden nicht mehr in der Klinik verbringen zu müssen und, wenn es gutging, vielleicht überhaupt bald entlassen zu werden. Über unser Treffen verlor sie kein Wort, oder darüber, wann wir uns wiedersehen würden, und für mich klang es wie eine Farce, von ihr statt dessen gesagt zu bekommen, daß er schon wieder angefangen hatte zu arbeiten, auf einen Notizblock kritzelte, sooft es seine immer noch anhaltenden Kopfschmerzen zuließen, und die hochtrabendsten Pläne für seinen Roman machte.
    Ich meldete mich dann nicht mehr bei ihr, und als sie schließlich selbst anrief und fragte, ob ich in einer Stunde zum Essen kommen wollte, waren drei Wochen vergangen. Es stellte sich heraus, daß sie nichts vorbereitet hatte, aber ich mochte es um so mehr, in ihrer Küche zu sitzen und ihr beim Kochen zuzusehen. Die Ungezwungenheit, mit der sie abwechselnd in den Töpfen rührte und sich dann wieder zu mir setzte und einen Schluck Wein trank, nahm mir die Angst, es könnte sich seit dem letzten Mal etwas verändert haben und sie mich zurückstoßen. Allein daß sie die ganze Zeit redete, mir von ihren

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