Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
Vom Netzwerk:
Schritten und ein Hund, sein immer wieder einsetzendes und in einem Winseln verebbendes Bellen, und ich weiß noch, wie ich gewartet habe, daß sie fortfahren würde, aber für sie war das schon die ganze Geschichte.
    »Es dürfte nicht der einzige Tote geblieben sein«, sagte ich daher. »Was danach wahrscheinlich passiert ist, verleiht dem erst den richtigen Rahmen.«
    Ich hatte in einem von Allmayers Artikeln über die Vergeltungsmaßnahmen gelesen, die damals gang und gäbe gewesen waren, und davon sprach ich jetzt.
    »Es war an der Tagesordnung, für jeden getöteten Deutschen eine vorher festgelegte Anzahl von Geiseln zu erschießen.«
    Ich ließ ihr Zeit, etwas zu sagen, aber sie schwieg.
    »Die Quote soll bis eins zu hundert gewesen sein«, fuhr ich dann fort. »Manchmal sind bei solchen Aktionen ganze Dörfer ausgelöscht worden.«
    Es war für mich nicht zu erkennen, wie sie es aufnahm. Ohne sich zu rühren, saß sie, die Beine angezogen, da, während ich noch einmal meinen Blick im Zimmer umherschweifen ließ, über das Bücherregal und die nebeneinander aufgereihten Holztruhen, die außer dem Sofa die einzigen Möbelstücke waren. An der Wand gegenüber hing ein Bild, das aus großer Ferne ein rotes Haus auf einem gelben Hügel zeigte, und sooft ich darauf schaute, fröstelte es mich, aber gleichzeitig war ich davon angezogen und sah dann zu ihr hinüber, bis sie es merkte und endlich ihren Kopf nach mir umwandte und meinte, ihre Familie habe immer schon ein besonderes Verhältnis zu den Deutschen gehabt.
    Das war im Zusammenhang mit dem, was ich gerade erzählt hatte, eine doppeldeutige Aussage, aber als ich nachfragte, überging sie es und ergänzte statt dessen nur, daß sie damit auch die Österreicher meinte.
    »Es hat alles schon vor dem Krieg begonnen«, sagte sie schließlich. »Genaugenommen reicht es bis zum Ende des letzten Jahrhunderts zurück.«
    Angefangen mit ihrem Urgroßvater, der ein paar Sommer lang auf einem Eildampfer des Österreichischen Lloyd zwischen Triest und Kotor gefahren war, über ihren Großvater, der während des Krieges in Geesthacht bei Hamburg in einer Munitionsfabrik gearbeitet hatte, bis hin zu den Eltern, die ganz nach Deutschland gegangen waren, schien es in ihrer Darstellung eine ununterbrochene Verbindung gegeben zu haben.
    »Beschränkt wird es aber immer auf die schlimmste Zeit«, fügte sie an, nachdem sie sich lang und breit darüber ausgelassen hatte. »Was dabei herauskommt, ist klar.«
    Ich verstand noch immer nicht ganz, warum sie sich so sehr darauf versteifte, aber als ich das sagen wollte, kam sie mir mit einer Frage zuvor, auf die sie keine Antwort erwartete.
    »Woher stammt sonst das ewige Geschrei?«
    Dann erzählte sie, daß sie bereits als Kind bei den Besuchen im Dorf ihrer Großmutter stets die Deutsche sein mußte, wenn sie mit den Nachbarskindern gespielt hatte, und sie seien natürlich Partisanen gewesen und švabo fašista, švabo fašista rufend in einem wilden Haufen über sie hergefallen. Es klang wehmütig, wie sie sagte, sie habe sich nichts mehr gewünscht, als einfach dazuzugehören, und selbst eine Pioniersmütze beschafft, weil ihre Eltern sich weigerten, ihr eine zu kaufen, und sie allein für sich aufgesetzt, wenn niemand ihr zusah, die blaue Kappe mit dem roten Stern, die sie unangreifbar machen sollte, zu einem Heldenkind unter allerhöchster Schirmherrschaft, einem Mitglied einer echten kleinen Armee. Sie hätte sich am liebsten wie alle mit einem Fähnchen zum Winken ins Spalier gestellt, fuhr sie fort, wäre habtacht dort gestanden wie ein richtiger Junge, wenn in der Gegend ein Stück Straße oder was auch sonst immer dem Volk übergeben wurde und irgendwelche Parteileute auftauchten, aber es war ihr verboten, obwohl sogar ihre Cousins und Cousinen hingeschickt wurden, deren Vater zu dem Anlaß ein oder zwei Tage im Gefängnis verschwand, nur weil er im Gasthaus irgendwann einmal die falschen Lieder gesungen hatte.
    »Ich habe damals natürlich nicht das Wort dafür gehabt, aber ich kann mir diese Widerstandsseligkeit gar nicht mehr vorstellen«, sagte sie. »Das ganze Land muß noch zwanzig Jahre nach dem Krieg in einem Siegestaumel gewesen sein, der es blind für alles andere gemacht hat.«
    Das schien ihr selbst zu rund zu sein, und sie korrigierte sich, als wäre es ihr unangenehm, sich zu solchen Gewißheiten hinreißen zu lassen.
    »Zumindest war das der offizielle Blick.«
    Sie sah mich an, aber ich nickte nur, und

Weitere Kostenlose Bücher