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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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etwas Endgültiges, und ich wäre am liebsten aufgestanden und hätte ein Fenster aufgerissen, um die Geräusche der Stadt zu hören, als sie plötzlich wieder auf ihren ersten Abend mit ihm zu sprechen kam, aber ich blieb sitzen, und eine Zeitlang waren es dann nur mehr die hilfesuchenden Blicke, die sie einmal mir, einmal Paul zuwarf, und ihre Hände, nach oben gekehrt und wie von ihr abgetrennt, auf dem Sofa liegend, ein Zeichen vollkommener Ratlosigkeit.
    Es hörte sich zuerst harmlos an, nostalgische Reminiszenzen, wie ich sie mir über ihn erwartet hatte, aber dann machte sie mit einem Satz klar, daß es ihr um etwas anderes ging.
    »Ich hätte da schon merken müssen, daß er am Ende war.«
    Darauf erwiderte Paul, er könne sich das kaum vorstellen, und es klang auf eine Weise brüsk, als würde er ihr damit etwas streitig machen wollen.
    »Auf mich hat er selbst bei unserem letzten Treffen nicht anders als früher gewirkt«, sagte er. »Ich weiß noch, daß er voller Pläne gewesen ist.«
    Offensichtlich fand sie das nicht weiter erwähnenswert.
    »Das war er doch immer.«
    Ich verstand nicht, worauf sie damit anspielte, und als ich mich erkundigte, lachte sie zuerst nur und sagte dann, daran habe es für sie nie einen Zweifel gegeben.
    »Immerhin hat er mich schon nach ein paar Tagen richtiggehend angefleht, seine Frau zu werden«, erklärte sie. »Auf meine Frage, warum, ist ihm nichts Besseres eingefallen, als zu sagen, ich sei seine Rettung.«
    Ich brauchte nicht lange nachzuhaken, und sie erzählte, daß sie drei Monate später schon verheiratet gewesen waren, ohne vorher irgend jemanden darüber informiert zu haben, eine unspektakuläre Zeremonie bei einem Urlaub in Amerika, und wenn sie aus einer Laune zugestimmt habe, sei es bei ihm reine Verzweiflung gewesen. Es war ein völlig neues Bild, das ich dadurch bekam, so, als wäre der geradezu flotte Typ aus den ersten Kriegsmonaten keine fünf Jahre danach zu einem Abklatsch seiner selbst geworden, nichts von der fast schon schauspielerhaften Attitüde eines professionellen Katastrophenjournalisten übrig geblieben, im Gegenteil, nannte sie ihn doch einen gebrochenen Mann, mit genau diesen Worten, die mir nicht mehr aus dem Kopf gingen. Ich erinnerte mich daran, daß ich ihn mir nach Pauls Beschreibungen von seinen Besuchen in Graz manchmal mit einem kantigen Gesicht und einer Boxernase vorgestellt hatte, frisch einem französischen Schwarzweißfilm entstiegen, und mußte mir jetzt anhören, daß er ihr viel älter vorgekommen sei, als er war, vor allem wenn er sich unbeobachtet fühlte, eine merkwürdig fragile Erscheinung trotz seines robust wirkenden Körpers, ein Widerspruch, der in seinen Augen lag, in seinem Blick, der immer nach beiden Seiten gleichzeitig wegzudriften schien, wenn er sie zu fixieren versuchte.
    Ein bißchen klang es nach dem Klischee eines vom Krieg für immer Gebrandmarkten, das sie von Allmayer entwarf. Zwar war es leicht nachvollziehbar, daß er manchmal, aus Bosnien zurück, den Gedanken nicht mehr losgeworden war, was den Leuten, mit denen er ein paar Stunden davor noch gesprochen hatte, vielleicht gerade passierte, ob sie weggeführt wurden, einem ungewissen Schicksal entgegen, oder an Ort und Stelle dem Tod ins Auge blickten, während er irgendwo bei einem Bier saß oder sich mit einem Bekannten zum Abendessen traf und darauf wartete, daß er den Wein aussuchte, aber so, wie sich das anhörte, hätte es genauso gut eine aparte Idee sein können, die sie zu einer kleinen Geschichte ausgebaut hatte. Dazu paßte, wie sie über die Angst sprach, die ihn angeblich oft erst im nachhinein gepackt hatte, mit ein paar Tagen Verspätung, daß er in den unverfänglichsten Situationen anfing zu zittern und erst wieder ruhig wurde, wenn er zurück konnte und sich einem Kampfgebiet näherte, angesogen von der Stille, dem regelrechten Vakuum, das sich vor ihm auftat, bevor er den ersten Schuß hörte oder auf die üblichen halbstarken Rabauken vor einer Blockade stieß.
    »Wenn sie ihn gefragt haben, ob er bewaffnet war, hat er immer gesagt, er könne nicht einmal schießen«, fuhr sie fort. »Das hat die meisten so belustigt, daß sie ihn lachend durchgewinkt haben, als hätten sie von ihm nichts zu fürchten, weil er kein Mann war.«
    Ich weiß natürlich nicht, was Allmayer ihr gerade in seinen schlaflosen Nächten alles erzählt hat, aber ihre Art der Darstellung störte mich. Es waren mir zu viele Paradoxa, mit denen sie

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