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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Gastarbeitern, zwei- oder dreistöckige, manchmal geradezu protzige Gebäude, bei denen sie von fast allen wußte, wo die Besitzer waren und wie in einem Ratespiel mit Orten in Amerika oder auch Australien herausplatzte, um sich dann über ein Paar lustig zu machen, das angeblich das Jahr über einen Balkan Grill in Berlin betrieb und im Sommer, als würde ihm nichts Besseres einfallen, einen Berlin Grill auf dem Balkan.
    Sie trug das hellblaue, ärmellose Kleid, das sie auf dem Photo angehabt hatte, von dem ich so angerührt gewesen war, und aufgeregt, wie sie sprach, hörte es sich für mich fast an, als hätten es in ihren Augen alle anderen geschafft, und nur ihr Vater war auf der Strecke geblieben.
    »Anscheinend ist es ihm gut gegangen, solange er darauf vertraut hat, jederzeit zurück zu können«, fuhr sie fort. »Er muß erst Zweifel bekommen haben, als ihm aufgefallen ist, daß das zwar stimmte, aber wenn er genau hinschaute, war dort, wo er hinwollte, längst nichts mehr, das etwas mit ihm zu tun hatte.«
    Was sie dann sagte, kam nicht überraschend.
    »Er hat immer von seinem Haus am Meer geträumt und ist genau zu der Zeit, als es endlich fertig war, zum ersten Mal in seinem Leben richtig krank geworden.«
    Das mußte vor dem Krieg gewesen sein, und als sie dann tatsächlich von seinem Gemüt sprach und davon, daß er in Frührente gegangen war und seither Medikamente nahm, hakte ich nicht nach, schaute ihn aber anders an, wenn ich ihn im Garten arbeiten sah oder wenn die Rosmarinsträucher scheinbar über Nacht ihre Formen verändert hatten, die penibel gestutzten Kegel, Würfel und Kugeln, an denen er fast jeden Tag mit seiner Schere herumschnipselte. Auf einmal konnte ich mit ihm kaum mehr reden, ohne ihren ausgleichenden oder abwiegelnden Kommentar im Ohr zu haben, und es hörte sich für mich ganz anders an, wenn er von da an, um was auch immer zu rechtfertigen, einfach blind drauflos argumentierte, sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit auf das letzte Kuhdorf zu Hause wie auf die ganze Welt bezog, um seinen Standpunkt zu bekräftigen. Sooft sie dabei war, redete er mich ohnehin nicht direkt an, wandte sich statt dessen an sie und bat, mir eine Frage zu stellen oder mich auf etwas hinzuweisen, und als ich wissen wollte, was die Anrede bedeutete, die er dabei jedesmal verwendete, schien sie einen Augenblick zu zögern und sagte dann Sohn, und daß sie es nicht anders kannte, daß er sie so gerufen hatte, seit sie sich zu erinnern vermochte, und früher oft vor Fremden genauso wie vor Freunden zum Scherz behauptet hatte, er habe keine Kinder, nur weil sie ein Mädchen war.
    Tagsüber verbrachte ich viel Zeit mit ihr allein, weil Paul sich einbildete, arbeiten zu müssen, und, während wir am Strand lagen, zu Hause blieb und schrieb oder sich zumindest mit einem Klapptischchen auf den Balkon vor sein Zimmer setzte und auf seiner Reiseschreibmaschine herumhackte, daß es die ganze Nachbarschaft hörte. So gern ich mit ihr zusammen war, manchmal beneidete ich ihn darum, wünschte mir, selbst dort sitzen zu können, mit einem freien Blick über die Dächer der gegenüberliegenden Häuser auf das Meer, und einfach meinen Gedanken nachzuhängen. Es waren die ersten Male seit meinem Vorstoß zu Silvester, daß ich sie ohne ihn sah, aber es widerstrebte mir, seinen Segen zu haben, von ihm am Vormittag winkend verabschiedet zu werden, wenn ich mit ihr loszog, und mir anhören zu müssen, was ihm in unserer Abwesenheit gelungen oder nicht gelungen war, wenn wir am Nachmittag zurückkamen und er barfuß und in kurzen Hosen an seinem Platz im Schatten der Markise saß, als hätte er sich nicht einen Augenblick fortbewegt.
    Ich weiß nicht, was in ihn gefahren war, daß er sich so zur Schau stellte, sprach ihn aber nicht darauf an. Die ein oder zwei Mal, wo ich allein mit ihm in seinem Zimmer war, vermied er es, seinen Roman auch nur zu erwähnen, und tat meine Fragen danach ab, obwohl ich mich erinnere, daß der ganze Boden mit Papier geradezu gepflastert war und er sich zwischen den einzelnen Blättern wie auf einem Schachbrett bewegte, um die Fensterläden zu öffnen und Licht hereinzulassen. Da wußte ich noch nicht, daß er im Dorf schon von seinem Besuch in diesem Frühjahr dafür bekannt war, mitten im Gespräch manchmal sein Notizbuch hervorzuziehen und ein paar Stichworte aufzuschreiben, aber ich kann mir vorstellen, wie bedrohlich er dadurch in gewissen Situationen gewirkt haben muß, nicht anders

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