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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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immer mit der gleichen Leichtigkeit, mit der er gerade noch über das Wetter oder sonst etwas Belangloses gesprochen hatte, wieder in seinen finsteren Geschichten verlor.
    Dabei wartete er schon beim ersten Mal mit den unwahrscheinlichsten Dingen auf, als wollte er herausfinden, wie weit er mit mir gehen konnte, und ich erinnere mich noch genau, daß er mich dabei nicht aus den Augen ließ.
    »Sie können mir das glauben oder nicht«, sagte er immer wieder und machte damit deutlich, daß es ihn nicht überraschen würde, auf Zweifel zu stoßen. »Ich habe keinen Grund, Sie zu belügen.«
    Alles in allem klang es wie ein Schnellkurs über die Absurdität des Ganzen, doch ich wußte nicht, ob sich die Details nachprüfen ließen, wenn er von sogenannten Wochenendkämpfern sprach, Leuten, die von Montag bis Freitag einer mehr oder weniger geregelten Arbeit nachgegangen waren und sich danach ins Plündern und ins Morden gestürzt haben mußten, als wäre es für sie nichts weiter als eine Freizeitbeschäftigung, von scheinbar harmlosen Familienvätern, die sich in ein Lager einschleusen lassen hatten, um mit eigenen Händen eine alte Rechnung zu begleichen, oder davon, daß unter den vermummten Angreifern auf irgendwelche Dörfer im Hinterland mitunter auch Frauen gewesen waren, wie er nicht nur einmal behauptete. Es waren solche Absonderlichkeiten, die er schilderte, Geschichten von alten Weibchen, die, allein in den Ruinen einer ehemaligen Siedlung, vorrückende Soldaten mit einem Glas Schnaps in ihre Küchen gelockt hatten, um unter ihren Röcken eine Handgranate zu zünden, und ich konnte nur zaghaft meine Bedenken anmelden. Mich erinnerte das allzu sehr an die Mythen von grausamen Partisanenkommissarinnen aus dem Zweiten Weltkrieg, die ihre Freude daran gehabt hatten, Männer hinterrücks abzumurksen, aber wenn ich ihn abwehrte, sagte er nur, das sei noch gar nichts. Dann erzählte er von den Belagerern auf den Hängen über Dubrovnik, die zeitweise geradezu darum gefleht haben sollen, von den Verteidigern in der Stadt ein bißchen beschossen zu werden, damit sie nicht an die viel schlimmere Front in Slawonien verlegt wurden, oder von verfeindeten Parteien, die sich gegenseitig Panzer vermietet hatten, als würde ihnen ihr eigenes Sterben nicht schnell genug gehen, und landete am Ende bei den verdrehtesten Gerüchten, absurdem Zeug, das bereits nach den ersten Schießereien zu hören gewesen war, Hirngespinsten, daß in Slowenien österreichische Truppen Seite an Seite mit den Einheimischen für ein Viertes Reich kämpften, um nur die größte Verrücktheit zu erwähnen, oder daß ein natürlich streng geheimer Milliardenvertrag mit den Deutschen existierte, auch noch die letzten Serben ein für alle Mal aus Kroatien zu vertreiben und in ihren Gemeinden Hunderttausende von rückkehrwilligen Gastarbeitern anzusiedeln.
    Wenn seine Frau zurückkam, scheuchte sie ihn auf und sagte, er solle mich nicht mit seinen Märchen vollschwatzen, und auch Helena glaubte, vorbauen zu müssen, meinte einmal, er habe extreme Ansichten, ihm sei kein Wort zu glauben. Es half nichts, wenn ich ihn in Schutz nahm, sie fast schon beschwor, daß manches, was er erzählte, gar nicht so abwegig klang und er in der Regel wußte, wenn er sich vollkommen verrannte, sie beharrte darauf, er sei voller Ressentiments, von Anfang an alles verloren zu haben, nur weil schon seinem Vater das allein seligmachende Parteibüchlein gefehlt hatte, das ihn als besseren Menschen auswies. Angeblich war er nicht von der Idee abgekommen, sein Weggehen sei eigentlich eine Vertreibung gewesen, und sie behauptete, er habe sich mehr und mehr eine tragische Exilantenbiographie zurechtgeschneidert, weil er mit den Jahren den Gedanken immer weniger ertrug, freiwillig ausgewandert zu sein, sein Leben aufgegeben zu haben, wie sie sich ausdrückte, das einzige, das er hatte oder zumindest hätte haben können.
    »Ich habe mir oft gewünscht, er wäre nicht nach Deutschland, sondern so weit wie nur irgendwie möglich weggegangen«, sagte sie. »So verlockend es sich anhören mag, wenigstens alle heiligen Zeiten einmal nach Hause zu können, so sehr hat ihn gerade das daran gehindert, wirklich etwas anderes anzufangen.«
    Wir spazierten gemeinsam durch das Dorf, und während sie erzählte, daß er damit immer weniger zurechtgekommen war, und ich am liebsten nur sie angesehen hätte, zeigte sie links und rechts von der Straße auf die neuesten Häuser, die meisten von

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