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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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und wenig später meistens die ersten unangekündigten Besucher auftauchten, Männer aus der Nachbarschaft, die sich dazusetzten und ohne viel Umstände die Hemden bis zur Brust hinaufschoben und ihren entblößten Bäuchen mit den Händen oder einem Stück Zeitung Kühlung zufächelten oder gar Geschirrtücher schwenkten, um die Mücken zu verscheuchen.
    Die Küste hinauf und hinunter waren an mehreren Orten Brände ausgebrochen, und es kam vor, daß ich den ganzen Tag den beißenden Geruch in der Nase hatte, der in der Luft hing. Es hieß, die Magistrale sei einmal da, einmal dort für den Verkehr gesperrt, und wenn in der Nacht der Feuerschein zu erkennen war und morgens auf den Steinfliesen vor dem Haus Asche lag, schienen alle in ein halb angespanntes Warten auf den Ausnahmezustand zu verfallen, während sich für mich nichts änderte. Ich saß nur noch träger auf meinem Aussichtsplatz und schaute auf die Bucht, wo von Zeit zu Zeit Löschflugzeuge erschienen und auf das Wasser niedergingen, um sich dann wieder zu erheben und einen Augenblick, wie von ihrem eigenen Gewicht heruntergezogen, atemberaubend schief am Himmel zu stehen, bevor sie mit schwer arbeitenden Propellern verschwanden.
    Dasselbe Gefühl von Abwesenheit hatte ich, als ich mit Paul und Helena durch Gebiete fuhr, die vom Krieg direkt betroffen waren, und ich bringe seither damit in Verbindung, alles wie hinter Glas zu sehen. Ich weiß noch, daß ich kaum auf die beiden achtete und später lauter Eindrücke im Kopf hatte, die mir unter dem Gewicht ihrer Wirklichkeit unwirklich erschienen. Lange hätte ich genauso gut allein sein können, im Fond sitzen und sie vorn erzählen, was sie wollten, ich hörte sie nicht, so gebannt war ich von der links und rechts sich darbietenden Verwüstung, den zerstörten Gebäuden am Straßenrand, den halb fertig gebauten und nichtsdestotrotz zusammengeschossenen Häusern, den Schutthaufen, aus denen vielleicht gerade noch ein Kamin ragte, und den dachlosen Mauern mit ihren leeren Fenstern, ihren an die Abdrücke von Tierpfoten erinnernden Granatspuren und den nach all den Jahren schon wieder mannshoch und höher aus den Wohn- und Schlafzimmern in den Himmel wachsenden Sträuchern.
    Obwohl ich natürlich Allmayers Artikel auch darüber kannte, war ich nicht darauf vorbereitet, vor allem nicht auf das Leben, das sich in den Ruinen zeigte und alles noch verlassener erscheinen ließ, blitzblank geputzte Glasscheiben mit Gardinen irgendwo im Nichts, ein Kind am Straßenrand, barfuß und nur in Unterhosen, eine Frau, die zwischen verrosteten Autowracks ein winziges Gemüsebeet harkte, Wäsche auf notdürftig gespannten Leinen, die im Wind flatterte wie anderswo auch. Ich erinnerte mich an seine Bestürzung beim Gedanken, wie lange ein Gastarbeiter wohl brauchte, um sich ein Haus zusammenzusparen, das dann einfach gesprengt wurde, und wußte sogar über die Methode Bescheid, sich daraus einen besonderen Spaß zu machen, alle Fenster und Türen nach draußen zu schließen, im obersten Stock eine brennende Kerze aufzustellen, in der Küche das Gas aufzudrehen und zu warten, bis die Mauern sich lautlos aufzublähen schienen und mit einem Knall zusammenfielen, aber sooft ich versuchte, aus den Überresten eine Geschichte herauszulesen, versagte meine Vorstellung. Seine Beschreibungen kamen mir wie aus einer anderen Zeit vor, die Kriegsherren, die über den Eingangstüren ihre Namen hinterlassen hatten und damit den Anspruch, als erste zu plündern, die Umzugslastwagen, die von Dorf zu Dorf gefahren sein mußten, um alles, was nicht niet- und nagelfest war, fortzuschaffen, die Banden, die noch die letzten Steckdosen aus der Wand gerissen hatten, bevor die unvermeidlichen alten und selbstverständlich schwarzgekleideten Totenweibchen über die Trümmerlandschaft gezogen waren wie die Geier und jeden Stein ein letztes und ein allerletztes Mal umgedreht hatten.
    Ich erinnerte mich wieder daran, daß Allmayer irgendwo geäußert hatte, er habe, wann immer er in Dalmatien durch das Hinterland gekommen war, auf die Landschaft mit einer Mischung aus Heimweh und Fernweh zugleich reagiert. Das war mir stets wie eine bloße Wortspielerei erschienen, aber wenn ich hinausschaute auf die staubige Hochebene, das halb verdorrte, felsdurchsetzte Weideland, das draußen vorbeizog, mit dem wie hingebrannten Mittagshimmel und einem unentwegten Flimmern am Horizont, glaubte ich zu verstehen, was er meinte, fand ich nicht einmal mehr den

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