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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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als irgendein Vertreter einer unheilbringenden Kommission. Es wunderte mich daher nicht, als ich dann hörte, eine bosnische Flüchtlingsfamilie, die seit dem Krieg ein Haus von vertriebenen Serben in Beschlag hielt, sei über ihn in helle Aufregung geraten, weil sie glaubte, er wäre gekommen, um Ansprüche an sie zu stellen, und ich war erst überrascht und fing an, mir Gedanken darüber zu machen, was er eigentlich wollte, als eine Nachbarin am Gartentor auftauchte und halb spöttisch, halb ernst bat, man möge ihr den Verrückten vom Leib halten, weil er sie Tag für Tag bedränge, seit er erfahren hatte, daß sie mit einem General verwandt war, auf sie einredete, ihn mit dem Mann zusammenzubringen, von dem zwielichtige Geschichten zirkulierten, um das Mindeste zu sagen, Ungeheuerlichkeiten, wenn ich nichts verwechsle, Gerüchte, er sei für ein Massaker in der Nähe von Gospic´ verantwortlich.
    Sein Aufwand war eindeutig übertrieben, und ich erinnere mich, wie Helenas Vater ihn eines Abends fragte, ob das für sein Buch wirklich nötig war, um sich dann die Geschichte von Allmayers Unglück noch einmal anhören zu müssen und nur kopfschüttelnd darauf zu reagieren.
    »Du machst wegen eines einzigen Toten so einen Wirbel«, sagte er schließlich. »Weißt du eigentlich, wie viele wir hier gehabt haben?«
    Er war sichtlich aufgebracht.
    »Wie viele im Ersten, wie viele im Zweiten Weltkrieg?«
    Ich sah, daß seine Oberlippe zitterte, und er wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht und wartete einen Augenblick, bevor er weitersprach.
    »Und wie viele jetzt?«
    Das war nicht ihr einziges Mißverständnis, und vielleicht hatte es damit zu tun, daß er Paul einfach nicht mochte, wenn er seinen Plänen, in das Kosovo zu fahren und sich dort die Unglücksstelle anzusehen, ablehnend gegenüberstand. Bereits am Tag nach unserer Ankunft hatte er über die Idee nur gelacht und ihn gefragt, was er sich davon erwarte, und wann immer er seither damit anfing, witzelte er darüber und schien ihn dadurch nur noch mehr herauszufordern. Er sagte zu ihm, er solle tun, was er nicht lassen könne, aber wenn es nach ihm ginge, er würde um kein Geld dorthin wollen, geschweige sich aus einer reinen Verrücktheit für nichts und wieder nichts an den Arsch der Welt begeben.
    Dabei schien sich Paul nicht einmal selbst sicher zu sein. Es war kaum vorstellbar, daß er sich irgendwann vom Fleck rühren würde, auch wenn es meistens nur kurz dauerte, bis er das Gespräch darauf lenkte, und er die Aufmerksamkeit genoß, die ihm das brachte. Als genügte ihm das schon, zeigte er dann immer einen Zeitungsausausriß eines Photos herum, auf dem ein rotes Metallkreuz am Rand eines sanft ansteigenden Weges zu sehen war, und wiederholte in einem fort denselben Satz, während er darauf deutete.
    »Hier ist es gewesen.«
    Es hätte überall sein können, mit den zwei silbernen Geländewagen im Hintergrund, dem hellblauen Müllsack und dem abgeschnittenen Stück Himmel, und ich erinnerte mich, wie er mir das Bild mit der Bemerkung hingehalten hatte, das Denkmal sei zum Jahrestag von Freunden errichtet worden, um damit wie selbstverständlich auch auf Lilly zu sprechen zu kommen.
    »Wahrscheinlich steht zu fürchten, daß sie den Ort schon heimgesucht hat«, sagte er. »Das wird sie sich wohl kaum entgehen lassen haben.«
    Daran dachte ich wieder, als er dann eines Morgens in aller Herrgottsfrüh losfuhr, natürlich allein, wie es sich für ein richtiges Abenteuer gehörte, und ich zufällig Zeuge seines Abschieds von Helena wurde. Ich hatte nicht geschlafen, von den Mücken in meinem Zimmer fast um den Verstand gebracht, und war ans Fenster getreten, weil ich Geräusche hörte, und da standen sie, zwei oder drei Meter vor mir, sie in einem Pyjama, obwohl es auch in der Nacht kaum mehr abkühlte, er in knielangen Hosen und halbhohen Stiefeln, die ich zum ersten Mal an ihm wahrnahm. Er hatte sie umarmt, und sie war mir zugewandt und schaute über seine Schulter zu mir her, wie damals in seinem Dorf, konnte mich aber nicht sehen, weil ich mich im Dunkeln befand, es wurde erst draußen allmählich hell. Zwischen uns war nur das Fliegengitter, war die Dämmerung, und etwas an der Stille sagte mir, daß sie weinte, ich lauschte, aber nichts, auch von ihm nicht, er sprach nicht, hatte aufgehört, auf sie einzureden, oder von vornherein geschwiegen und hielt sie nur fest.
    Es dauerte ein paar Augenblicke, bis er sich losriß und auf sein Auto zuging,

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