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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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während sie stehen blieb, und er schaffte es, die paar Schritte so hinzukriegen, daß ich mich wunderte, wie deutlich sein Hinken auf einmal wieder war. Schon sah ich das Scheinwerferlicht, das über das Nachbarhaus strich, und wie sie zum Gartentor stürzte, um ihm nachzuwinken, und als hätte mein Gehör erst eingesetzt, traf mich das Geräusch des Motors mit ungewohnter Wucht. Es entfernte sich rasch, und dann war es nur mehr das Bellen eines Hundes, der ein paar Häuser weiter anschlug, das Quietschen von Fensterläden, die irgendwo über mir aufgemacht wurden, und sie, wie sie immer noch dastand, ihre Lautlosigkeit, und nach einer Weile die Stimme ihrer Mutter, ein oder zwei Sätze, die ich nicht verstand, und wie sie auf deutsch antwortete, ja, Mama, ja.
    Ich hatte mich gerade wieder hingelegt, als sie dicht vor meinem Fenster auftauchte und zu mir hereinschaute. So deutlich ich ihre Silhouette sah, so sicher war ich mir, daß sie nicht sagen konnte, ob ich schlief oder mich nur schlafend stellte, und ich starrte zurück, bis sie sich schließlich abwandte und ging. Dann dürfte ich eingenickt sein, und als ich wieder wach wurde, war kaum eine halbe Stunde vergangen, und sie stand an derselben Stelle, nur daß es jetzt viel heller war, hatte ihren Badeanzug an, ein Frotteetuch um die Hüften geschlungen, und fragte mich, ob ich mit ihr schwimmen gehen wollte.
    Es war schwül wie mitten am Tag, die Luft schien zu surren wie von tausend Zikaden, und auf einmal hatte mich wieder die alte Sehnsucht nach ihr eingeholt, und Paul war für mich so fern, wie er nur sein konnte, daß ich neben ihr in das glatte Meer hinausschwamm, als gäbe es ihn schon nicht mehr, und dann nur um so ernüchterter war, weil sie das Gespräch sofort wieder auf ihn brachte, kaum hatten wir uns zum Trocknen in der aufgehenden Sonne an den Strand gelegt.
    »Glaubst du, es ist gefährlich, was er da macht?«
    Ich war noch außer Atem und getragen von der Euphorie, die mich gepackt hatte, wenn ich nach jedem Zug, den Kopf untergetaucht und zitternd, so lange in ein und derselben Position geblieben war, bis sich das Wasser wieder ruhig um mich geschlossen hatte, und wollte nichts davon wissen.
    »Das dürfte er sich selbst genau überlegt haben«, sagte ich, ohne mich darum zu kümmern, daß es unwirsch klingen mußte. »Er wird schon kein unnötiges Risiko eingehen.«
    Spröder hätte ich mich nicht geben können, doch sie ließ sich nicht abwimmeln, hatte ihren Kopf so dicht neben meinem, daß mir schwindlig wurde, wenn ich ihr in die Augen schaute, und begann noch einmal damit, wie unruhig es im Kosovo trotz der Besatzung nach wie vor war.
    »Zumindest kommen dort noch immer Leute um.« Ihre Stimme klang schläfrig.
    »Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht etwas passiert«, sagte sie. »Dabei ist keineswegs klar, ob die Zeitungen überhaupt alles berichten.«
    Für mich war damit der Zauber verflogen, und ich schwieg und freute mich einfach über ihr Gesicht, als Paul vier Stunden später schon wieder zurück war. Er hatte eine Panne gehabt, und aus irgendeinem Grund behandelte sie ihn wie einen Versager, wollte nichts davon wissen, daß er gleich wieder aufbrechen würde, wenn sein Auto aus der Werkstatt kam, und meinte, ich hätte recht gehabt, mich von Anfang an nicht dafür zu interessieren. Sie unterbrach ihn, sobald er nur ansetzte, davon zu sprechen, bis er es aufgab, und wenn ich ihn nicht gerade mit irgendwelchen Bemerkungen darauf stieß, schien er kaum mehr daran zu denken, geradeso, als hätte er nie im Ernst vorgehabt, sich überhaupt auf den Weg zu machen.
    Es waren Tage, an denen kein Wind aufkommen wollte und die Hitze immer weiter zunahm, und obwohl es sich eher als Vorgeschmack auf die ewige Verdammnis erwies und nicht als das große Glück, verbrachte ich Stunden auf der Terrasse, wie ich es mir gewünscht hatte. Ohne Zeitgefühl döste ich vor mich hin, überrascht, die Sonne einmal da, einmal dort am Himmel zu sehen, wenn ich aufschrak und auf das wie tot daliegende Meer hinausschaute, auf dem irgendwann die Fähre zwischen Split und Ancona auftauchte und sich kaum von einer Halluzination unterscheiden ließ. Über Mittag war manchmal weit und breit kein Mensch zu entdecken, und sooft dann auch im Haus jedes Geräusch erstarb, packte mich der Schrecken, allein übrig geblieben zu sein. Dann konnte es mir nicht schnell genug Abend werden, wenn sich alle am Tisch im Freien versammelten, offensichtlich doch noch am Leben,

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