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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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so sehr in Aufregung geriet, es sei denn, er fühlte sich davon selber angesprochen.
    »Dahinter steckt die landläufige Art, jemanden noch über den Tod hinaus zu diffamieren und ihn auf Herrgottswinkelformat zurechtzustutzen, nur weil er weggegangen ist« sagte er. »Offensichtlich gilt es als Verbrechen, daß er sich nicht klinkenputzend durch die Wiener Redaktionen gebuckelt hat, wie es der Dienstweg vorsieht, und dafür muß er bestraft werden.«
    Er hatte sich in Rage geredet, und ich war froh, daß Helena einschritt und ihn bat, nicht noch einmal damit anzufangen. Sie nahm mir den Ausschnitt aus der Hand, steckte ihn in ihre Tasche und hörte nicht auf ihn, als er protestierte, berührte ihn am Arm und flüsterte mit ihm. Dann wandte sie sich an mich und sagte, er sei aus dem Häuschen, seit er darauf gestoßen war, und neu kam mir nicht nur vor, wie sie sich ausdrückte, sondern auch, daß sie über ihn sprach, als wäre er nicht da, eine Tatsache, die mir vor ein paar Wochen noch undenkbar erschienen wäre und jetzt nur wie der letzte Beweis auf mich wirkte, daß sich seit ihrer Reise etwas zwischen ihnen verändert hatte.
    Ich weiß nicht, worüber wir sonst gesprochen haben, aber es war dann auch sie, die sagte, daß sie in der zweiten Augusthälfte noch einmal nach Kroatien fahren würden, und ob ich nicht mitkommen wollte. Dabei sah sie mich an, und ich erinnere mich genau an den verunglückten Augenaufschlag, als sie an mir zerrte wie ein Kind und so tat, wie wenn sie mich allen Ernstes anflehen würde. Es folgte wieder mein Name, so weich ausgesprochen, daß ich ihn fast nicht mit mir in Verbindung gebracht habe, und während ich nach einer Ausflucht suchte, drängte sie Paul, einzustimmen, und überging ihn einfach, als er schwieg.
    »Die einzige Bedingung ist, daß ihr mit euren Kindereien aufhört«, sagte sie schließlich, als wäre es eine abgemachte Sache. »Ein paar Tage Ferien werdet ihr wohl aushalten, ohne gleich wieder von irgendwelchen Greueln reden zu müssen.«
    Zwei Monate später standen sie auf dem Flughafen von Split und holten mich ab, und ich hatte nur Augen für sie. Sie winkte schon hinter den Scheiben der Besucherterrasse, als ich ausstieg und mit den anderen Passagieren auf das Abfertigungsgebäude zuging, und ich mußte mich zurückhalten, mich nicht zum Narren zu machen und mit ausgebreiteten Armen auf sie zuzulaufen. Die Hitze schlug mir entgegen und legte sich wie ein Film um meinen Körper, eine weiche Luft, in der ich mich augenblicklich aufgehoben fühlte, wie in Trance von der Landung übers Meer herein, daß ich dann trotz aller Vorsätze draufloslapperte, noch bevor ich sie auch nur begrüßt hatte.
    »Kaum zu glauben, daß vor ein paar Jahren Krieg war.«
    Das sagte ich, obwohl am Rand des Rollfelds unübersehbar zwei Abfangjäger standen, als wären sie jederzeit einsatzbereit, und sie versuchte, mich sofort zu bremsen.
    »Also gibt es auch nichts darüber zu reden.«
    Sie legte mir ihre Arme um den Hals, küßte mich links und rechts auf die Wange, wie sie es bisher nie getan hatte, und lachte.
    »Ich fürchte, du kannst es nicht lassen«, sagte sie dann. »Trotzdem habe ich nicht gedacht, daß du gleich im ersten Satz damit anfängst.«
    Auf der halbstündigen Fahrt Richtung Norden war aber sie es, die nicht aufhörte, sich darüber auszulassen, daß auf der ganzen Strecke nicht die geringste Spur von Zerstörung zu entdecken war, während Paul schweigend am Steuer saß und ich immer wieder seinen Blick im Rückspiegel hatte, die Sonnenbrille, durch die er mich ansah. Es war befremdend, das Wort von ihr zu hören, aber sie sagte, daß die Kämpfe in der Gegend nicht bis an die Küstenstraße gereicht hatten, was er mit einem Nicken quittierte, und die Häuser waren auch unbeschädigt, standen zitternd in der brütenden Hitze und warben viersprachig um Gäste. Genauso gut hätte es irgendwo anders sein können, und wenn sie sich zu mir umdrehte und, eine Hand auf seine Schulter gelegt, auf etwas zeigte, war es das Meer, ein Restaurant mit Tischen am Straßenrand oder der von der Trockenheit ausgedörrte Boden die Hänge hinauf, das karge Gestrüpp, zwischen dem das nackte Gestein hervortrat, und er achtete gar nicht darauf. Er war ganz mit dem Fahren beschäftigt und ließ sie machen, überholte halsbrecherisch und wandte sich nur einmal an mich, deutete auf ein Wahlplakat aus dem vergangenen Jahr, ein halb vergilbtes Bild, das weit über seine Zeit hinaus hängen

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