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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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geblieben war und den längst verstorbenen Präsidenten darstellte, zusammen mit einem Kind, wie es sich für einen Staatsmann seines Kalibers gehörte, ein griesgrämiges Gesicht, wie auf fast allen Aufnahmen, die es von ihm gab, mit einem wehleidigen oder süffisanten Ausdruck, je nachdem aus welchem Winkel man es betrachtete.
    Ich weiß nicht, was Helena sich vorgestellt hat, aber natürlich gab es auch in den zweieinhalb Wochen, die wir bei ihren Eltern verbrachten, kaum ein Gespräch, in dem nicht vom Krieg die Rede war, entweder direkt, oder das Thema blieb auf eine Weise ausgespart, daß ich das Gefühl nie los wurde, sie warteten darauf, gefragt zu werden, wollten etwas erklären, sich rechtfertigen gar. Sie hatten beide über dreißig Jahre in Deutschland gelebt, und wenn sich in ihren Darstellungen die Gründe manchmal nicht unterscheiden ließen, warum sie damals weggegangen waren und warum später die ersten Schüsse fielen, kann ich nicht sagen, was davon stimmte. Mochte es das Lamentieren darüber sein, wie sehr ihre Heimatdörfer im Hinterland über Jahre und Jahrzehnte benachteiligt worden waren, wie lange sie auf Strom hatten warten müssen oder auf fließendes Wasser, und weshalb der Asphalt noch immer nicht bis vor ihre Elternhäuser führte, oder die Geschichten, daß die Regierung in Belgrad Leute aus Serbien mit billigen Krediten an der Küste angesiedelt hatte, ich stelle mir vor, sie waren bei jeder Gelegenheit erzählt worden, nicht nur von ihnen, und bezogen ihre Überzeugungskraft mehr aus ihrer unentwegten Wiederholung als daraus, ob sie sich belegen ließen oder nicht.
    Vor allem Helenas Vater begann immer wieder damit, und ich erinnere mich noch, wie er mich gleich bei unserer Ankunft mit einem Seitenblick auf Paul fragte, ob ich auch über den Krieg schriebe, und mir auf absurd vertrauliche Weise zunickte, als ich es verneinte.
    »Dann haben Sie ja Zeit, sich umzuschauen.«
    Anscheinend war es eine Stichelei, aber ich wußte nicht, wie er darauf kam, und sah ihn nur an, während er zu einer regelrechten Belehrung ausholte.
    »Es ist am besten, wenn Sie die Augen offen halten und nicht zu sehr darauf vertrauen, was in den Büchern steht«, sagte er. »Vielleicht erkennen Sie dann, wie die Dinge wirklich sind.«
    Wir waren kaum aus dem Auto ausgestiegen, und ob es sich dabei nur um einen Spruch handelte oder ob er damit andeuten wollte, daß er selbst mehr wußte, er hatte es wie nebenher geäußert, und diese Beiläufigkeit sollte er auch in den folgenden Tagen beibehalten, sobald er mich irgendwo allein antraf, er schlich eine Zeitlang unschlüssig umher, bevor er sich zu mir gesellte, fragte, ob er mich störe, und fing an zu erzählen. Nach allem, was ich über ihn wußte, hatte ich mir einen anderen Mann erwartet, nicht diese Mischung aus Zurückhaltung und verschämter Höflichkeit, mit der er mich umwarb, etwas Handfesteres, Derberes vielleicht, von einem ehemaligen Bauarbeiter, eine brachiale Selbstsicherheit oder wenigstens das übliche hemdsärmelige Auftreten, was auch immer sich dahinter verbergen mochte. Vielleicht lag es an den müden, großen Augen hinter seiner Brille, der millimetergenauen Kurzhaarfrisur, dem fahlweißen Haar oder der überraschenden Sanftheit seiner Stimme, auf jeden Fall war bereits auf den ersten Blick etwas Zögerliches an ihm, und sein Deutsch wirkte tastend, kam mir einmal unbeholfen, ein anderes Mal gerade durch seine Unbeholfenheit besonnen vor, wenn er lange nach einem Wort suchte und dann etwas ganz anderes sagte, als er vorgehabt hatte.
    Obwohl mir nicht klar war, wie gerade ich zu der Ehre kam, mochte ich es, am Morgen mit ihm vor dem Haus zu sitzen, wenn Helena und Paul noch schliefen und seine Frau ins Dorf gegangen war und er immer neue Anekdoten ausbreitete. Da war er meistens schon schwimmen gewesen, und ich hatte ihm von meinem Zimmer aus zugesehen, wie er sich im Garten mit einem Schlauch das Salzwasser vom Körper spritzte, und wenn er mir dann aufgeräumt gegenübersaß, in den einzigen zwei Stunden des Tages, wo die Hitze noch zu ertragen war, wirkte er geradezu jungenhaft auf mich und schien froh zu sein, in mir jemanden zu haben, der ihm zuhörte. Er machte Kaffee, legte mir ein paar Feigen hin und genoß es, wenn vor dem Tor Passanten vorbeigingen und grüßten oder ein paar Worte mit ihm wechselten, Nachbarn, die vom Strand kamen oder dorthin wollten und eine Zeitlang mit ihm plauderten, und ich wunderte mich, daß er sich danach

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