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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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nie von Waldner gehört, aber als er von ihm erzählte, er habe ein paar Wochen lang allen Ernstes eine dialogische Kolumne in einer Zeitung gehabt, in der er seiner Frau den kroatischen Part zuschrieb, während er selbst natürlich den serbischen übernahm, konnte ich mir seine Verrücktheit gut vorstellen.
    »Es muß ihm eine perverse Freude gemacht haben, alles, was er wollte, an ihr durchzuexerzieren«, sagte er. »Denn was ihr auch dagegen eingefallen ist, am Ende hat immer er recht gehabt.«
    Die Unsäglichkeiten, die dabei angeblich herausgekommen sind, soll es gesammelt mit dem Titel Die Stille des Wassers unter dem Eis geben, und daran dachte ich, als wir ankamen und sie uns empfing, weil er noch irgendwo auf der Insel unterwegs war, und Paul sie nach der Begrüßung gleich fragte, ob sie darunter gelitten hatte.
    »Es ist doch nur ein Spiel gewesen«, erwiderte sie, ohne einen Augenblick zu zögern. »Das kann beim besten Willen kein Mensch ernst genommen haben.«
    Sehr überzeugt klang das nicht, und wenn ich daran denke, wie sich dabei ihre Augen verdunkelten, fröstelt es mich, ich sehe ihr Gesicht vor mir, erstaunlich blaß dafür, daß sie schon seit Wochen auf der Insel war, ihr strähniges Haar, ihre wachsamen und dann wieder abwesenden, aber unverändert ängstlichen Augen, klein und eng zusammenliegend. Sie hatte kurze Hosen und eine Bluse an, beides ausgewaschen, farblos fast, und das sind auch die ersten Worte, die mir zu ihr selbst einfallen, bleich und teigig, wie ihre Arme und ihre Schenkel waren. Sogar die Art, in der sie später mit ihrem Mann sprach, erinnert mich daran, daß sie etwas milchig Verschwommenes hatte, ihre Angewohnheit, in seiner Anwesenheit einen Satz kaum hörbar zu beginnen und dann nichtsdestotrotz immer leiser zu werden und ihn lautlos zu Ende zu sprechen, ihr Verstummen, das nie ein Abbrechen war, sondern ein sich weiter und weiter Zurücknehmen, als wäre nicht einmal die Stille genug und sie könnte auch ihr noch etwas entziehen, mit ihren hilflosen Mundbewegungen, ihrem leer auf- und zuklappenden Fischmaul.
    Das Haus stand frei auf einer Anhöhe ein Stück landeinwärts, aber mit Sicht auf das Meer, und sie hatte uns an einem Tisch im Freien plaziert und sah ständig auf die Serpentinen am Hang gegenüber, als hielte sie nach ihm Ausschau. Ihr Blick fiel auf die Zypressenreihe, die sich den Kamm entlangzog, die dazwischen verloren wirkenden Strommasten, und wenn sie sich uns wieder zuwandte und sagte, er werde nicht mehr lange weg sein, war nicht zu hören, ob sie das mehr hoffte oder fürchtete. Dann trat in ihre Stimme der gleiche Ausdruck, mit dem sie uns gerade noch erzählt hatte, daß sie mit ihm hier buchstäblich allein lebte und das Dorf in der Nähe ein Geisterdorf war, schon seit den dreißiger Jahren von den meisten Bewohnern verlassen.
    Ich könnte schwören, in ihren Augen war Panik, als er dann endlich erschien. Er kam nicht aus der Richtung, aus der sie ihn erwartet hatte, und ich sah ihn zuerst. Dann fiel mir auf, wie sie auf das sich nähernde Auto starrte, bis es hielt, und obwohl sie dabei ganz leise wurde, war ihre Bitte nicht zu überhören, ihn bloß in kein heikles Gespräch zu verwickeln.
    »Er hat es seit dem Krieg mit dem Herzen«, sagte sie fast beschwörend. »Die kleinste Aufregung kann ihn ins Grab bringen.«
    Währenddessen stieg er aus und kam langsam heran, ein gedrungener, stämmiger Mann Anfang sechzig, kraftvoll für sein Alter, mit einem Gang, der mich an den eines Tieres denken ließ. Er hatte das Hemd weit aufgeknöpft, trug aber trotz der Hitze Stiefel und Jeans, doch das auffälligste war sein Hut, von dem ich sofort ahnte, was auch immer geschah, er würde ihn nicht abnehmen, und er behielt ihn dann tatsächlich die ganze Zeit auf. Sein Gesicht war gerötet, die Nase mit geplatzten Äderchen gesprenkelt, sein Bart auf dem Kinn und auf der Oberlippe löchrig, und auf den ersten Blick wirkte er in seiner ganzen Erscheinung auf mich wie einer, von dem es in seinem Nachruf heißen könnte, daß ihn der Tod plötzlich in die Knie gezwungen hatte, mitten aus dem Leben herausgerissen, obwohl er ihm in Wirklichkeit schon lange im Nacken saß.
    Ich mochte ihn nicht, weil er seine Frau anherrschte, den Kaffee wegzuschütten, den sie uns hingestellt hatte, und etwas Anständiges zu bringen, und, während sie wortlos verschwand, sofort einen schlüpfrigen Witz loswerden mußte und noch zweideutig lachte, als sie wieder zurückkam und ein

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