Das Handwerk des Toetens
Tablett mit einer Flasche Wein und Speck auf den Tisch stellte. Es war sein einmal unterwürfiges, einmal offen patziges Gastwirte-Deutsch, das ihr gegenüber von einer Sekunde auf die andere umschlagen konnte in einen scharfen Befehlston und mich allein schon deshalb abstieß. Weil ihm ein Stück eines Schneidezahns fehlte, traten seine Zischlaute wäßrig hervor, und wenn er sich an sie wandte, schienen die Worte nur mehr daraus zu bestehen, war es ein schlechtgelauntes Wienerisch, von dem ich später, als wir längst gegangen waren, das Versatzstück nicht und nicht aus den Ohren bekommen wollte, mit dem er fast jede an sie gerichtete Äußerung wie eine Anklage begann, sein herausforderndes entschuldige , das sie augenblicklich zum Schweigen bringen sollte.
Es gab drei Photos von ihm, die ich nicht übersehen konnte, als ich die erste Gelegenheit nutzte, ihm zu entfliehen, und ins Haus ging, Aufnahmen, ungefähr zwanzig mal dreißig Zentimeter groß und gerahmt, direkt neben dem Eingang zur Toilette, die ihn mit jeweils einem anderen österreichischen Bundeskanzler zeigten. Ich blieb davor stehen und schaute sie mir an, obwohl wenig Aufregendes daran war, die Politikergesichter, wie ich sie kannte, und er mit immer schütterer werdendem Haar, Sakkos in von Mal zu Mal dezenteren Farben und unverdrossen gestreiften Krawatten. Das einzig wirklich Bemerkenswerte für mich war, zu sehen, wie er sich in all den Jahren vorgearbeitet hatte, von dem noch zwei Schritte hinter seinem Herrn stehenden Diener über den Sekretär, der einem steif wirkenden Chef keck über die Schulter blickte, bis hin zum Geschäftsmann, der auf gleicher Höhe stand und, wie ich später hörte, von seinem mit gebleckten Zähnen lachenden Compagnon am liebsten die Anekdote erzählte, er habe einmal bei einem gemeinsamen Auftritt vor laufender Kamera sein Gebiß verloren.
Ich stellte mir einen langsam dahinklappernden Film vor, mit immer wieder genau diesen drei Bildern, und die wahrscheinlich mühsamen dreiviertel Meter, für die er zehn oder fünfzehn Jahre gebraucht hatte, die Umwege und Sackgassen, um vom Hintergrund in den Vordergrund zu gelangen, und war überrascht, auf einmal seine Frau in meinem Rücken zu hören.
»Wollen Sie mehr sehen?«
Sie war lautlos hereingekommen und meinen Blicken gefolgt, und bevor ich etwas erwidern konnte, hatte ich einen Schnappschuß in der Hand, zwei Männer von hinten, Waldner, gerade noch im Halbprofil erkennbar, mit einem anderen, und zwischen ihnen eine Frau, vor deren überquellendem, sonnenverbranntem Dekolleté sie mit ihren Gläsern anstießen.
»Das wird Sie vielleicht interessieren.«
Sie hatte ihren Zeigefinger auf den Kopf des Unbekannten gelegt, dem die Haare im Nacken über den Hemdkragen standen, von dessen Gesicht aber nichts zu sehen war.
»Wissen Sie, wer das ist?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das ist der Neue«, sagte sie, und in ihrer Stimme schwang ein leicht hämischer Unterton mit. »Es muß kurz nach seiner Angelobung gewesen sein.«
Ohne es weiter zu kommentieren, deutete sie auf das Datum am unteren Bildrand, das von Anfang des Jahres war, und sah mich an. Ich konnte nicht sagen, ob sie es anklagend meinte, und wartete, was noch folgen würde, doch sie stand nur da und schaute wieder auf die gerahmten Bilder an der Wand. Es fiel mir nichts Besseres ein, als ihr eine Hand auf die Schulter zu legen, und ich hatte sie kaum berührt, als sie schon danach faßte und sie dann eine ganze Weile nicht losließ.
Ich weiß noch, daß ich sofort dachte, es mußte etwas vorgefallen sein, als wir wieder hinaustraten und ich sah, wie Paul auf Waldner einredete. Er hatte sich auf seinem Stuhl vorgebeugt, und wenn ich mich richtig erinnere, fiel er ihm ins Wort, sobald er etwas erwidern wollte, obwohl er nach jedem Satz eine lange Pause machte und ihn regelrecht dazu einlud. Offensichtlich ging es um den Krieg, und ich wundere mich über die Direktheit seiner Vorwürfe, sehe ihn vor mir, wie er ihm zusetzte und ihn so lange in die Ecke trieb, bis er darin festsaß.
»Sie haben doch auch über angebliche Massaker geschrieben, noch bevor es überhaupt die ersten Toten gegeben hat«, sagte er. »Da dürfen Sie sich nicht wundern, daß es dann beim kleinsten Anlaß besonders grausam zugegangen ist, weil sich alle haben einreden können, sie müßten ihr Leben verteidigen.«
Damit hatte er Waldner so weit, daß er sich nur mehr mühsam zu beherrschen vermochte, und wenn er zuerst noch
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