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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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wollten, schien es mir unvorstellbar, daß das Meer nur wenige Kilometer entfernt sein sollte, kaum war es aus meinem Blick verschwunden, und ich sehnte mich nach ein paar Stunden am Strand, als wäre das etwas ganz und gar Unerreichbares, und nach der Gesellschaft von Leuten, selbst wenn es diejenigen wären, über die ich immer gelästert hatte, die Paare in verschiedenen Graden des Verfalls, die manchmal schon wie für das Jüngste Gericht in der Sonne ausgelegt waren.
    Auf der Fähre sprach ich kaum mit ihm. Er schien zu merken, daß ich allein sein wollte, und ließ mich in Ruhe, und ich saß da, ohne auch nur auf das Wasser hinauszuschauen, und wußte, es war Zeit heimzukommen. Die ersten Eindrücke von der Insel verblaßten schon, und während er sich in seinem Reiseführer darüber kundig machte, hielt ich krampfhaft an dem Bild fest, wie verlassen sie am Ende der Saison sein mußte, wenn die letzten Gäste im Herbst weggingen und die Fallwinde vom Festland über die kargen Hochebenen fegten.
    Die beiden darauffolgenden Tage saß er wieder an seinem Arbeitsplatz auf dem Balkon, und ich wich nicht von Helenas Seite. Ich erzählte ihr nichts von dem, was wir erlebt hatten, oder nur eine so weit abgeschwächte, harmlose Version, daß sie sich nicht selbst in Waldners Frau wiedererkannte, und weil sie damit zufrieden war, nahm ich an, daß auch er sich bei ihr nicht darüber ausließ. Es gelang mir, ihm so weit auszuweichen, daß ich seine Zustimmung nicht mehr fürchten mußte, wenn ich mit ihr unterwegs war, und sobald er abends auf dem Strand auftauchte, fiel es mir doppelt auf, weil er sich davor nie dort hatte blicken lassen und weil ich mir sagte, es geschah nur, um nach uns zu sehen.
    Es war seine Idee, meinen Rückflug verfallen zu lassen und über Nacht mit ihm und Helena nach Slavonski Brod zu fahren, wo er für den nächsten Tag gegen Mittag ein Treffen mit Slavko vereinbart hatte, und sie bearbeitete mich, darauf einzugehen. So saß ich dann auch wie ein Chorknabe im Fond und ließ mich dazu hinreißen, sie zu berühren, hatte meine Hand von hinten gegen ihre Hüfte gedrückt, ohne daß sie sich dagegen wehrte, während uns im Hinterland die Dunkelheit verschluckte und er in einem fort am Radio herumdrehte, als könnte er nicht glauben, daß überhaupt noch ein Sender zu empfangen war. Wenn sie einnickte und plötzlich aufschrak, weil er zu abrupt in eine Kurve gegangen war, verstärkte ich den Druck, um sie zu beruhigen, und sah dann zu, wie sie hinausspähte, bis im Lichtkegel am Straßenrand ein Haus auftauchte, das sich im letzten Augenblick als Schutthaufen herausstellte oder inmitten von Ruinen gespenstisch bewohnt war. Als der Morgen graute, übergab er mir das Steuer, und sowie ihn der Schlaf gepackt hatte, waren wir wie allein auf der schnurgeraden Autobahn, die sich noch ganz ohne Verkehr Richtung Osten erstreckte, links und rechts die gegen einen porösen Himmel aus dem Boden wachsenden Ölpumpen, die Weite der Felder mit Tausenden von verdorrten Sonnenblumen, Stromleitungen voller Vögel, und Lipovac, so nah es auch sein mochte, auf allen Schildern wie ein Versprechen als der fernste Ort wiederholt, ein Nest an der Grenze zu Serbien, das Ende der Welt, hinter dem das lang ersehnte Nichts begann, seit es Belgrad allem Anschein nach nicht mehr gab.
    Wir waren zu früh da, und die Stadt wirkte auf den ersten Blick verschlafen, mit ihren geduckten Häusern entlang der Einfahrtstraße und den Gebäuden aus der Monarchie im Zentrum, an einem lang gezogenen, sich direkt auf die Save öffnenden Platz, die dort eine Biegung machte und sich in beide Richtungen, wie es schien, in den Büschen verlor, so träge floß sie dahin. Das andere Ufer mit ein paar Wohnblocks, die das Buschwerk überragten, war schon Bosnien, und weiter flußaufwärts führte hoch über dem Wasser eine Brücke hinüber, eine Stahlkonstruktion wie aus den Anfängen der Eisenbahn, auf der sich, solange wir da waren, zu jeder Tages- und Nachtzeit, Lastwagen stauten, deren Motorenlärm manchmal vom Wind herangetragen wurde. Auf der Promenade war zu der Stunde noch fast niemand unterwegs, die Badeanstalt lag verlassen da, und dahinter, vor den Schrebergartenhäuschen, die in der Ferne wie Hausboote wirkten, das war das Stadion, wie wir später erfuhren, von dem Allmayer geschrieben hatte, daß es, vollgepackt mit Flüchtlingen, über den Fluß hinweg mit Granaten beschossen worden war.
    Obwohl es nicht gerade einladend aussah,

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