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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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auszuweichen versuchte, er habe geglaubt, sie sprächen unter Freunden, gab er dann doch eine Antwort.
    »Ich habe getan, was ich tun konnte.«
    Kaum hatte er das gesagt, ging es hin und her.
    »Was haben Sie?«
    Er wiederholte es.
    »Das ist doch nicht Ihr Ernst.«
    Er nickte nur, und Paul brach in ein Lachen aus, wie ich es von ihm noch nie gehört hatte, so ungläubig und gleichzeitig hilflos war es.
    »Sagen Sie, was Sie wirklich getan haben«, setzte er nach. »Verstecken Sie sich nicht hinter Ihren Lappalien und Schaumschlägereien.«
    Darauf ging er nicht ein. Sein Gesicht war feuerrot geworden, die Mundwinkel zitterten, seine Blicke irrten suchend umher, bis er sie starr vor sich im Nichts fixierte und nur noch laut ein- und ausatmete. Er schien unschlüssig zu sein, nicht zu wissen, was er tat, aber als seine Frau plötzlich aufschrie und ihn am Arm packen wollte, hatte er eines von den Messern, die in Griffweite vor ihm auf dem Tablett lagen, schon in der Hand und rammte es mit aller Kraft in den Tisch, während sie verstohlen begann, die übrigen beiseite zu räumen.
    »Faschisten«, schrie er in einem fort. »Faschisten.«
    Es war lächerlich und bedrohlich zugleich, wie er sich dabei immer wieder so weit wie nur möglich vorlehnte und im nächsten Augenblick zurückwarf, als könnte er sich nicht halten und würde gleich auf einen von uns losgehen.
    »Verschwindet sofort, oder ich rufe die Polizei.«
    Ich sah, wie Paul auf die zitternde Klinge direkt vor seinen Augen starrte, ohne sich zu rühren. Er schien wie hypnotisiert davon zu sein, und ich mußte ihn von seinem Platz hochziehen, bis er mit weichen Knien zu stehen kam. Dann zögerte er ein paar Augenblicke, sagte jedoch nichts, und als er losging, hatte er für mich etwas Automatenhaftes, so, wie er sich bei jedem Schritt straffte, um dadurch von seinem Hinken abzulenken.
    Es dauerte eine Weile, bis er aus dem Blickfeld war, aber Waldner achtete ohnehin schon nicht mehr auf ihn, tat, als hätte er ihn vergessen, und wandte sich an seine Frau.
    »Hol die Tabletten«, fuhr er sie an, und seine Stimme schien zwischendurch immer wieder kleine Aussetzer zu haben. »Worauf wartest du noch?«
    Er rang keuchend um Luft.
    »Willst du mich verrecken lassen?«
    Während er ein sarkastisches Lachen anschlug, wußte ich nicht, wie ich den verzweifelten Blicken ausweichen sollte, mit denen sie mich ansah. Sie stand da und zuckte unter seinen Worten zusammen, und als sie zu antworten versuchte, blieb für mich nur das hilflose Rudern ihrer Arme. Dann eilte sie davon, und als er sofort wieder Faschisten zu schreien begann, starrte ich auf die Meerenge hinunter, den ruhig daliegenden Streifen Wasser, der die Insel von der Nachbarinsel trennte, und bemühte mich, möglichst nichts zu denken.
    Ich weiß noch genau, daß Paul stocksteif dasaß, als ich das Auto erreichte und einstieg, und die Frage, die er gleich stellte, überraschte mich nicht.
    »Glaubst du, er schlägt sie?«
    Er hatte sein Seitenfenster heruntergekurbelt und lauschte auf das Gezeter, das vom Haus herüberdrang, während er mich von unten her ansah.
    »Zuzutrauen wäre es ihm.«
    Das war mir nur herausgerutscht, aber er nickte schon.
    »Sie ist ganz allein auf sich gestellt, und er kann alles mit ihr machen«, sagte er. »Auch wenn sie schreiend vor ihm davonlaufen würde, könnte kein Mensch sie hören.«
    Die Hände auf das Steuer gelegt, schaute er eine Zeitlang schweigend hinaus, als wäre dort etwas zu entdecken, und schüttelte dann nur den Kopf.
    »Was für ein verkommenes Schwein.«
    Er sprach ein Wort deutlich abgesetzt vom anderen.
    »Meinetwegen kann er an seiner Selbstgerechtigkeit ersticken«, begann er schließlich noch einmal. »Ich bin der letzte, der ihm nachtrauern würde.«
    Ich wußte nicht, was ich dazu sagen sollte, und obwohl mir auf einmal auch die Unheimlichkeit der geschlossenen Fensterläden an fast allen Häusern des Dorfes auffiel, die an manchen Stellen eingedrückten Dächer, die verwachsenen Gärten davor, war ich froh, als er den Motor startete und endlich losfuhr. Es mußte ungefähr vier Uhr sein, die Sonne stand über der Nachbarinsel, und während wir langsam die Straße hinaufzuckelten, schaute ich ihm zu, wie er sich eine Zigarette anzündete und gierig daran zog, und kam nicht von dem Gedanken los, wie lange der Tag noch dauern würde, überrumpelt von dem Entsetzen, das mich allein schon deswegen packte. Trotz seiner Frage, ob wir noch schwimmen gehen

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