Das Handwerk des Toetens
mieteten wir uns im Hotel Park ein, am anderen Ende des Platzes, zwei- oder dreihundert Meter vom Ufer entfernt, mit freiem Blick auf den Fluß, noch sichtbaren Schußspuren an der Fassade und einer Rezeptionistin, die uns beim Eintreten fragte, woher wir kamen, und dann kopfschüttelnd sagte, auf unserer Route hätten wir im Krieg wahrscheinlich ein halbes Dutzend Mal die Front passieren müssen. Es war ein vernachlässigtes Haus, dessen Verfall ohne Zweifel schon begonnen hatte, bevor die ersten Flüchtlinge ein- und wieder ausquartiert worden waren, und die Männer, die so früh an der Bar lehnten und uns beobachteten, ohne den flimmernden Fernseher aus den Augen zu lassen, wirkten wenig vertrauensselig auf mich. Gäste wie uns schien niemand erwartet zu haben, und so blieben wir auch beim Frühstück allein in dem riesigen, halbrunden Veranstaltungssaal, der das einzige Prunkstück war, mit seinen streng ausgerichteten Tischen und Stühlen, den bodenlangen, fliederfarbenen Gardinen vor den Fenstern und dem Rednerpult, das neben einem monströsen Blumengesteck stand, als könnte immer noch jeden Augenblick ein Parteisekretär auftreten und staatstragend Brüderlichkeit und Einheit beschwören. Tatsächlich stattgefunden hatte in den letzten Monaten aber nur der Maturaball des Gymnasiums, ein Abendessen für Eltern von den im Heimatkrieg Gefallenen, wie wir auf einer übrig gebliebenen Einladung lesen konnten, die Aufführung eines Stücks, Lipa Smrt , Schöner Tod, von einer Gruppe, die sich Hrvatski Emigranti nannte, und, für mich fast folgerichtig, vor einer Woche erst die Wahl der Miss Slavonski Brod, von der noch Photos an den Wänden hingen, Bilder von dunkelhaarigen, auf den ersten Blick wie eineiige Fünf- oder Sechslinge aussehenden Mädchen in Badeanzügen und der Siegerin mit einer Schärpe im üblichen Schachbrettmuster und einer silbernen Krone, die ihr wie eine Riesenspinne auf dem Haar saß.
Es war dann auch sie, über die Slavko als erstes sprach, als wir ihn zwei Stunden später trafen, hatte er doch, in diesem Sommer zum ersten Mal seit Jahren nicht mehr auf Hvar, die Veranstaltung selbst organisiert und seine Verabredung mit uns in die Gradska Kavana gelegt, das Stadtcafé ganz vorn am Fluß mit Tischen draußen auf dem Platz, wo sie als Kellnerin arbeitete. Offensichtlich wollte er uns zeigen, daß sie sein Geschöpf war, und während sie uns bediente, sah er uns an, als müßten wir augenblicklich in Bewunderung verfallen, und forderte sie auf, sich ein paar Minuten zu uns zu setzen, legte ihr eine Hand auf den Oberschenkel und ließ sie dort liegen. Sie war höchstens sechzehn oder siebzehn Jahre alt, und während sie in ihrem dünnen, fast durchsichtigen Kleidchen dasaß, die Beine übereinandergeschlagen, die Arme verschränkt, schien sie Mühe zu haben, die Augen offenzuhalten, so unkontrolliert sackte ihr der Kopf manchmal nach hinten weg, und sie reagierte nur, wenn er sie princeza nannte, ohne in der Regel mehr herauszubringen, als ein obligatorisches da, keptn, da oder ne, keptn, ne .
Es dauerte nicht lange, bis Slavko über den Fluß deutete und sagte, sie sei von der anderen Seite, um dann zu erzählen, sie habe im Krieg ihre ganze Familie verloren und war seither nie mehr drüben gewesen.
»In ihrem Elternhaus leben längst Serben aus Knin.«
Er wartete einen Augenblick und sah sie an, wie wenn er sie damit ermuntern wollte, sich selbst dazu zu äußern, aber sie starrte nur auf ihre Fingernägel und schwieg.
»Sie redet nicht gern darüber«, fuhr er schließlich fort und schien erleichtert zu sein. »Nur wenn sie etwas getrunken hat, wird sie gesprächig.«
Dann wandte er sich lachend an sie.
»Stimmt es?«
Sie sagte nichts, und er wurde lauter.
»Ich habe dich etwas gefragt.«
Ob sie ihn verstanden hatte oder nicht, sie nickte, und damit war sie entlassen, und wenn ich mich da noch über die Abruptheit wunderte, ahne ich jetzt, daß er ihr Schicksal als eine Art Fürsprache für sich selbst verwendete und daß es um ihn ging, wenn er so über sie sprach. Was für eine Rolle auch immer er im Krieg gespielt haben mochte, sie sollte ihm recht geben, sage ich mir, ihre Jugend, ihr Aussehen, sollte ihn im nachhinein zu ihrem Verteidiger machen, und das um so mehr, als sie damals noch ein Kind gewesen war. Sie hatte sich schon entfernt, als er behauptete, sie würde eine Handgranate werfen, wenn man sie nach Hause zurückließe, und ich weiß noch, wie er ihr nachschaute,
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