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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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erinnere mich an seine glänzenden Augen, während er jeden ihrer Schritte verfolgte und nicht merkte, daß er sich dabei die ganze Zeit die Hände rieb.
    Ihn mit Waldner zu vergleichen, wie es mir sofort in den Sinn kam, war zu einfach, aber es ließ mich trotzdem nicht und nicht los. Vielleicht war es seine Ausstrahlung, die mich auf die Ähnlichkeit mit ihm brachte, die Vitalität, wie ich mir in Ermangelung eines besseren Wortes sagte, doch das allein konnte es nicht sein. Er glich ihm in seiner untersetzten Gestalt, hatte den gleichen Gang, die gleiche lauernde Haltung, wenn er dasaß, bereit, wie mir schien, sich beim kleinsten Anlaß auf sein Gegenüber zu stürzen, aber das meinte ich nicht, eher das Schillernde zwischen einem nicht ganz seriösen Geschäftsmann und einem ausgewachsenen Ganoven.
    Auf jeden Fall hatte er eine Sonnenbrille auf und trug ein weißes Hemd und schwarze Hosen, frisch aus der Wäsche und penibel gebügelt. Sein Haar war gegelt und so kurz geschnitten, daß es nur ein Tick sein konnte, wenn er von Zeit zu Zeit mit beiden Händen den Halt seiner Frisur überprüfte und danach manchmal ein paar Augenblicke lang wie unter einer Trockenhaube verharrte, seinen Kopf eine Spur zu weit gehoben und ohne beim Sprechen jemanden anzusehen. Dann klang seine Stimme höher als sonst, und er gefiel sich noch mehr darin, Fragen zu stellen, die er selbst beantwortete, was ihm als Entertainer, wie die Bezeichnung auf seiner Visitenkarte lautete, zweifelsohne keine Schwierigkeiten bereitete.
    Das war er, der Mann, von dem ich bis dahin nur das Photo gekannt hatte, auf dem er mit seinem Gewehr abgebildet war wie der Vertreter eines angesehenen Berufszweigs mit seinem wichtigsten Werkzeug, das Gesicht von Zigarettenrauch verdeckt, und als Paul ihn fragte, ob er sich noch an Allmayer erinnerte, sah er ihn an, wie wenn das eine Beleidigung wäre.
    »Ich habe gehört, was mit ihm passiert ist«, sagte er dann. »So viele Leute ich auch verloren habe, er ist für mich wie einer von uns gewesen.«
    Er hatte ein paar Jahre in Düsseldorf gearbeitet und sprach leidlich deutsch, und nur wenn etwas nicht klar war, schwenkte er auf kroatisch um, und Helena übersetzte es, daß ein Mißverständnis so gut wie ausgeschlossen war.
    »Einer von euch?«
    Paul versuchte, ihn in seiner aufgesetzten Ruhe zu erschüttern, aber sein Drängen war viel zu durchsichtig, und er ließ sich nicht darauf ein.
    »Er hätte einer von uns sein können.«
    Das wiederholte er, um dann alle Fragen, was er damit meinte, einfach an sich abprallen zu lassen und zu erzählen, wie Allmayer damals an der Front aufgetaucht war.
    »Ich habe es nicht glauben wollen, als er über die Felder auf uns zugekommen ist«, sagte er. »Es war mir sofort klar, daß sich nur ein Verrückter in unsere Gegend hat verirren können.«
    Das klang nach einem leeren Spruch, und erst als er hinzufügte, er müsse mit seinem Dolmetscher über Ungarn gefahren sein, weil es keine direkte Verbindung mehr zwischen Zagreb und ihrer Stellung in der Nähe von Vinkovci gegeben hatte, wurde mir klar, daß er es dabei nicht bewenden ließ. Er versuchte sogar, ihn zu beschreiben, aber ich war mir nicht sicher, ob er sich wirklich daran erinnerte oder ob es allein um der Anekdote willen war, wenn er behauptete, er sehe ihn noch vor sich, in seiner nagelneuen kugelsicheren Weste, die so schwer war, daß selbst ein Stier unter ihr in die Knie gegangen wäre, und sie hätten sie lachend einer nach dem anderen anprobiert und ihn gefragt, was er damit vorhabe, ewig zu leben oder sich zu kasteien, oder ob es ein Keuschheitsgürtel war, den er nur verkehrt herum angezogen hatte. Mit einem Schlag bekam es etwas Makaberes, wie er über ihn sprach, wie er ihn ein Greenhorn nannte, das herausfinden wollte, wie es war, jemanden umzubringen, schien er vergessen zu haben, was er gerade noch über ihn gesagt hatte, und ich traute meinen Ohren nicht, als er sich am Ende selbst übertraf.
    »Zumindest weiß er jetzt, wie man stirbt.«
    Es blieb einen Augenblick vollkommen still, und es half auch nicht, daß Paul so tat, als wollte er sich ernsthaft mit ihm darüber unterhalten.
    »Sie können seine Frage doch sicher beantworten.« Darauf lachte er nur.
    »Was wollen Sie von mir hören?«
    Er schien richtiggehend geschmeichelt zu sein, so, wie er gurrte, ein Fachmann, der sich freute, daß ihm Erfahrung zugestanden wurde.
    »Ich kann Ihnen nur sagen, was ich auch ihm gesagt habe«, begann er

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